: Konflikte ohne Gericht lösen
■ Fünf Jahre Täter-Opfer-Ausgleich / 1994 allein 500 Fälle zur Schlichtung
„Ich gehe nicht eher aus dem Gerichtssaal, bis klar ist, was mit meinem Jungen geschieht“. Die Strafverfolgung eines Handtaschendiebes wird ad absurdum geführt, als sich das Opfer, eine alte Dame, schützend vor den jugendlichen Täter stellt. Möglich wurde diese Begebenheit durch das Engagement einer Einrichtung in Bremen-Nord. Der Verein „Täter-Opfer-Ausgleich im Gustav-Heinemann-Bürgerhaus“ feiert sein fünfjähriges Bestehen. Diplom-Psychologe Frank Winter möchte Konflikte, die üblicherweise vor der Justiz landen, an die Menschen zurückgeben.
Die Mittel der herkömmlichen Strafverfolgung sind fast ausschließlich „täterorientiert“, die Belange der Opfer bleiben auf der Strecke, so Dr. Wolfram Schädler, der im Rahmen der 5-Jahres-Feier auf einer Tagung sprach. Warum trifft es gerade mich? Neben dem Verlust von Vermögenswerten verlieren die Opfer auch ein Stück Lebensfreude. Der materielle Schaden mag regulierbar sein, aber Angst vor Wiederholung bleibt zurück. Die neutralen VermittlerInnen des Täter-Opfer-Ausgleiches versuchen die Beteiligten beider Seiten einer Straftat an einen Tisch zu bringen; das Einverständnis einer jeden Partei vorausgesetzt.
Untersuchungen zeigten, so Schädler, daß die große Mehrheit der Opfer den Wunsch habe, neben der Begleichung des Schadens, „dem Täter einen Denkzettel zu verpassen“. Das bedeute aber nicht ausschließlich das Verlangen nach einem juristischen Strafbedürfnis. Die Opfer wollen, daß den Tätern gezeigt wird, „daß es nicht so gehe“. Bei der „Beratungsstelle für Opfer und Zeugen von Straftaten“ der Bremer Hilfe e.V. gibt es einen Fonds, in den die TäterIn einen ihrer finanziellen Situation angemessenen Betrag einzahlt, welcher an das Opfer weitergegeben wird.
Danielle Hermans von dieser Beratungsstelle betont die Schwierigkeit der Vermittlerin, Neutralität bei der Konfliktlösung zu wahren. Das „Bremer Modell“ versuche daher mit jeweils zwei BeraterInnen in das Gespräch zu gehen, „denn beide Parteien zerren an mir“.
Frank Winter berichtet von über 500 Fällen pro Jahr, die zur Schlichtung anstehen. Dabei habe die Arbeit in Bremen-Nord eine solche hohe Akzeptanz erfahren, daß 33 Prozent SelbstmelderInnen zu verzeichnen sind – Opfer oder TäterIn suchen die Beratung ohne Vermittlung von Justizbehörden oder sozialen Diensten auf. Der Täter-Opfer-Ausgleich habe sich in den vergangenen Jahren gerade im Jugendbereich etablieren können.
Nach der letzten Novelle des Verbrechensbekämpfungsgesetzes sei dieses neue Instrument der Kriminalpolitik aber auch auf TäterInnen aller Altersbereiche anwendbar. Nach einer Schadenswiedergutmachung sollen Gerichte bei einer zu verhängenden Haftstrafe von unter einem Jahr gänzlich auf eine Verurteilung zu Freiheitsentzug verzichten. mö
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