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Polizisten schlagen zu

Mehr als 70mal mißhandelten deutsche Polizisten im Dienst / Amnesty international legt Bericht vor  ■ Von Karin Flothmann

Berlin (taz) – „Guck mich nicht so an, du Scheißausländer!“ brüllte ein Polizist und trat dem Marokkaner Mimoun T. in die Hoden. Wenige Minuten zuvor war T. zusammen mit einem Freund in der Nähe des Frankfurter Hauptbahnhofs von mehreren uniformierten Polizisten angehalten worden. Er kam gar nicht erst dazu, sich auszuweisen.

Denn bevor er seine Papiere vorholen und zeigen konnte, erhielt Mimoun T. von einem Beamten einen Fußtritt, ein anderer schlug ihm mit einem Polizeiknüppel heftig auf den Hinterkopf. T. fiel zu Boden und wurde mit Handschellen gefesselt. Anschließend versetzten die Beamten ihm weitere Fußtritte und schlugen ihn mit dem Kopf gegen den Boden. T.s Freund wurde Augenzeuge dieser Mißhandlungen am Abend des 7. Oktober 1992.

Der Fall des Mimoun T. ist einer von über 70 Mißhandlungsfällen, die die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) in ihrem gestern in Bonn präsentierten Bericht „Ausländer als Opfer – Polizeiliche Mißhandlungen in der Bundesrepublik Deutschland“ dokumentiert. Die Ärzte attestierten Mimoun T. Prellungen im Gesicht und an beiden unteren Extremitäten, zwei Striemen am Rücken sowie den Verdacht auf Gehirnerschütterung. T. mußte sich wegen der erlittenen Verletzungen mehrere Tage stationär in der Klinik behandeln lassen. Nachdem er Anzeige gegen die Beamten erstattete, nahm die Polizei in Presseverlautbarungen Stellung: T. habe bei der Feststellung der Personalien „um sich getreten“, daher habe er „mit zwei Schlägen mit dem Schlagstock ruhiggestellt werden müssen“.

Die Polizei erstattete ihrerseits Anzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft stellte dieses Verfahren gegen den Marokkaner allerdings im August 1993 wegen Geringfügigkeit ein. Die Ermittlungen gegen die Polizei sind heute, zweieinhalb Jahre nachdem Mimoun T. Anzeige erstattet hat, immer noch nicht abgeschlossen.

Das Muster der Mißhandlungen und ihrer anschließenden Behandlung durch die Staatsorgane ähnelt sich stets. Vorwiegend Ausländer, so ai, würden geschlagen, getreten und durch andere „unverhältnismäßige Gewaltanwendung“ mißhandelt. Das Resultat sind ausgeschlagene Zähne, Verstauchungen, Blutergüsse und sogar gebrochene Knochen.

Auf der Wache werde den Opfern der Kontakt mit Angehörigen oder einem Arzt verweigert, häufig würden sie nicht darüber informiert, warum sie festgehalten werden. Mehr als die Hälfte aller Vorwürfe, die ai in der Zeit von Januar 1992 bis März 1995 bekannt wurden, richten sich gegen Beamte der Berliner Polizei. Angesichts der Häufigkeit und der Übereinstimmung der Berichte sei davon auszugehen, „daß es sich nicht nur um isolierte Einzelfälle handelt“, erklärte Michael Butler, vom Internationalen ai-Sekretariat in London. Zwei der dokumentierten Fälle stufte amnesty aufgrund der schweren Verletzungen und des erkennbaren Vorsatzes der Täter als Mißhandlungen ein, „die der Folter gleichkommen“. Vielfach schienen die Übergriffe rassistisch motiviert.

Obwohl die polizeilichen Mißhandlungen klare Verstöße gegen geltendes deutsches Recht sind, wurden laut amnesty nur in 20 der geschilderten Fälle Verurteilungen ausgesprochen. Vereinzelt wurden gegen Polizisten Disziplinarstrafen verhängt. In der Regel reagierten die Beamten auf Anzeigen der Opfer mit Gegenanzeigen wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt. Keines der Opfer wurde für die erlittenen Verletzungen entschädigt.

Mit Blick auf die zunehmende ausländerfeindliche Gewalt in Deutschland seit der Vereinigung seien diese Vorfälle „besonders alarmierend“, betonte Butler. „In einer Zeit, in der die in Deutschland lebenden Ausländer den besonderen Schutz der Polizei brauchen, haben viele statt dessen Fäuste, Stiefel oder Schlagstöcke der Polizeibeamten zu spüren bekommen.“

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