: Fenster aus Blattgold und Blech
■ Diktat dekorativer Salongestaltung oder doch erweiterter Kunstbegriff? Eine Ausstellung in Amsterdams Van-Gogh-Museum widmet sich zum ersten Mal dem Verhältnis zwischen Bilderrahmen und Gemälde
Wie seine Bilder einmal ausgestellt würden, war dem Maler alles andere als egal. In langen Briefen nach Paris legte Vincent van Gogh immer wieder detailliert fest, wie die in Rollen an seinen dort lebenden Bruder Theo gesandten Leinwände zu rahmen seien: Für die Werke seiner holländischen Frühzeit wünsche er sich „kleine schwarze Holzrahmen“, teilte der Autodidakt dem erfolgreichen Kunsthändler mit, nur die „Kartoffelesser“ verdiene als das Meisterwerk jener Periode einen goldenen Rahmen. Die als Vorstudien geschaffenen dunklen Bauernportraits allerdings bräuchten, so der Maler, gar keine Rahmung: „Sie würden genau so gut aussehen vor einer Tapete in der Farbe von reifem Getreide.“ Als sich seine Palette in Paris und später dann im südfranzösischen Arles endgültig aufhellt, verändern sich auch die Rahmenwünsche. Flache Leisten in Weiß oder Rotbraun sollen es nun sein: „Nur so kannst Du die Farben und das Ganze beurteilen.“
Würde van Gogh seine Bilder heute in den Museen der Welt sehen, hätte er wahrscheinlich schnell das Messer in der Hand, um die Leinwände aus den Rahmen zu schneiden. Weil sich seine Kunst in einer Zeit durchzusetzen begann und von Kunsthäusern gekauft wurde, als vor allem im wilhelminischen Deutschland noch die Tradition der Salons existierte, zieren die Werke van Goghs in der Regel schwere ziselierte Stuckrahmen, die den Farb- und Formexperimenten des Niederländers jede Wirkung nehmen und die Motive erdrücken, statt sie zu entfalten. Allein im Amsterdamer Van- Gogh-Museum wurde vor einigen Jahren mit dem Experiment begonnen, einige Hauptwerke wie das „Schlafzimmer in Arles“, die „Ernte“ oder die berühmten „Sonnenblumen“ mit den von van Gogh vorgeschlagenen einfachen Leisten zu umgeben. „Wir haben nach einiger Zeit damit aufgehört“, beschreibt Restauratorin Cornelia Peres die dabei aufgetretenen Schwierigkeiten. „Es gab Probleme mit der Farbgebung, und ganz billig ist die Sache auch nicht.“
Noch bis Ende Juni zeigt jetzt das Rijksmuseum Vincent van Gogh die Ausstellung „In Perfect Harmony – Picture and Frame 1850–1920“. Zum ersten Mal unternehmen damit Kunsthistoriker und Restauratoren die gemeinsame Anstrengung, die Geschichte der Bilderrahmen zu dokumentieren und zugleich die Wechselwirkung zwischen Werk und Rahmen zu untersuchen. In räumlich voneinander abgetrennten und durch zeitgenössische Wandbespannungen oder -bemalungen unterschiedenen Kabinetten beginnt die spannende Untersuchung bei den Malerfürsten Lenbach, Makart und Böcklin. Sie unterwarfen sich noch völlig dem Diktat der Salon- Juroren, die klare Anforderungen nicht allein an die historischen oder mythologischen Sujets, sondern auch an repräsentative Rahmung stellten.
Die englischen Präraffaeliten um Rosetti und ihre Adepten wie Alma-Tadema, Leighton und Burne-Jones begannen dann um die Jahrhundertwende damit, den Rahmen in die Bilddarstellung einzubeziehen: Säulenordnungen klassizistischer Motive wurden auf den Rahmen fortgesetzt. Auf diese Weise entstand ein freier Umgang mit dem Rahmen, den vor allem die Künstler des Jugendstils weiterführten: Gustav Klimt und Franz von Stuck bauten um ihre Portraits „Judith“ (1901) und „Die Sünde“ (1912) ganze Altäre. Blattgold und Blech wurden zu geläufigen Materialien. Aus dem Rahmen als Fenster zur Welt war ein integraler Bestandteil des künstlerischen Konzeptes geworden. Schon zwei Jahrzehnte zuvor hatte auch van Gogh begonnen, seine Rahmen selbst zu bemalen. Das einzig erhaltene Exemplar um ein „Stilleben mit Früchten“ von 1887 ist in Amsterdam zu sehen.
Degas und Pissarro entwarfen für ihre impressionistischen Portraits und Landschaften schlichte, aber breite Goldleisten. „Ich habe meine Rahmen so sorgfältig wie meine Bilder entworfen“, bekannte James McNeill Whistler, „also sind sie ein genauso wichtiger Teil wie jedes andere meines Werkes.“
Den Gedanken an austauschbare Wechselrahmen verwarf er ebenso wie die Postimpresionisten Signac und Seurat: Sie gestalteten die Holzleisten um ihre Bilder herum mit pointilistischen Mustern, um so die divisionistische Farbwirkung des eigentlichen Motives noch einmal hervorzuheben.
Den Abschluß der Amsterdamer Ausstellung, die ein für das Thema grundlegender Katalog dokumentiert, bildet die klassische Moderne: Emil Nolde Wassily Kandinsky und Ernst Ludwig Kirchner bedienen sich hemmungslos bei allen vorangegangenen Perioden der Kunstgeschichte. Die Auseinandersetzung mit der afrikanischen Holzskulptur schlägt sich ebenfalls nieder: Die Rahmengestaltung wird endgültig zum kongenialen Kunsthandwerk. Stefan Koldehoff
„In Perfect Harmonie – Picture and Frame 1850–1920“; Rijksmuseum Vincent van Gogh, Amsterdam. Noch bis 25. Juni 1995. Katalog: 280 Seiten (engl.) mit unzähligen Farb- und Sw.-Abbildungen, Waanders Uitgevers, Zwolle, Paperback; 69,50 hfl., geb. 95 hfl., ISBN 90-400-9729-1
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