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Reich durch Zocker-TV

■ US-Medien wittern einen neuen Goldrausch: Wetten bei interaktiven Gameshows

Der jüngste Trend im Mediengeschäft läßt sich etwas despektierlich, aber durchaus zutreffend als „Zocker-TV“ bezeichnen: die interaktive Sendung, bei der man sein Geld loswerden kann. Endlich haben die Produzenten von Gameshows wieder Grund, leuchtende Augen zu kriegen, zumal sie auf Zahlen verweisen können, die tatsächlich beeindrucken: Die Amerikaner geben im Jahr fünf Milliarden Dollar für Kinobesuche und 13 Milliarden für Videofilme aus; aber satte 340 Milliarden Dollar hauen sie auf den Kopf – beim Zocken.

Da man aus alten Goldrauschzeiten weiß, daß nichts wichtiger ist als das rechtzeitige Abstecken eines Claims, gibt es in den USA bereits den ersten Kanal: das interactive Wagering Network („to wager“ heißt „wetten“); wer sein Geld bei Bingo, Lotterien, Pferde- oder Autorennen loswerden will, kann das ganz gemütlich von daheim aus erledigen. Viel interessanter wird die Sache für den Beobachter, wenn richtiger Wettbewerb ins Spiel kommt und der Gewinn der Dollars nicht bloß vom Glück abhängt. Sendungen wie „Jeopardy!“ (RTL) bekommen natürlich gleich einen ganz besonderen Reiz, wenn nicht bloß der Gewinner sein Geld mit nach Hause nehmen darf, sondern der Verlierer für seine Miesen geradestehen muß.

Die Branche prophezeit, daß „Wagering“ in ein paar Jahren ein milliardenschweres Geschäft sein wird. Allerdings gibt es noch zwei nicht unbedeutende Hindernisse: Erstens wehren sich ausgerechnet die vier beliebtesten US-Sportarten (Baseball, Football, Basketball, Eishockey) strikt gegen jede Form der Wettverwertung. Aber die Vergangenheit hat gezeigt: Wo ein Scheck ist, ist auch ein Weg.

Zweitens verbietet die Fernsehaufsichtsbehörde FCC, daß Mitspieler für ihre Teilnahme bezahlen müssen. Auch diese Auflage läßt sich jedoch offenbar umgehen: Nelson L. Goldberg, Präsident von Gaming Entertainment Television, behauptet, seine Gesellschaft habe bereits 42 Geschicklichkeitswettbewerbe ausgearbeitet, die Sendern und Spielern Geld bringen, ohne der FCC einen Ansatz zum Einspruch zu bieten.

Ein Nebeneffekt des Fernsehzockens ist die Rückkehr der klassischen Gameshows. In den USA bis auf wenige Ausnahmen längst abgeschrieben, erleben die Gameshows ihr Comeback auf eigenen Kanälen. Sony hat vor einigen Wochen mit dem „Game Show Network“ den Auftakt gemacht. Schlüsselwort für die Gameshowkanäle ist natürlich wieder die Interaktivität: Die klassischen Gameshows sollen mit futuristischen Elementen aufgemotzt und dank der Wettleidenschaft der Amerikaner reizvoller werden. Deutsche Pläne fürs TV-Zocken gibt es offenbar noch nicht. Prädestiniert dafür wäre natürlich Sat.1, der Sender mit den meisten Spielsendungen, der mit Shows wie „Krypton Faktor“, „Fort Boyard“ und vielen, vielen anderen aus nahezu jeder Lebenssituation eine Gameshow bastelte.

Tatsächlich hat Sat.1 schon vor Jahren so etwas wie einen frühen Vorläufer des Zocker-TV entworfen: Mit der „Telewette“ wollte man die Beliebtheit des Galoppsports ausnutzen. Die „Telewette“, bei der allerdings nur jeweils ein Zuschauer telefonisch mitspielen konnte, floppte derart nachhaltig, daß im Hause Sat.1 keiner mehr etwas damit zu tun haben will. Verantwortlich war mit Reinhold Beckmann übrigens ein Sportchef, der sich heute vermutlich mit einem inbrünstigen „No Sports!“ von ähnlichen Plänen abwenden würde. Tilmann P. Gangloff

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