piwik no script img

Uninspirierte Physiker

■ betr.: „Deutschland hat den Größ ten“, taz vom 11. 5. 95

Vor 50 plus zwölf Jahren trieb eine deutsche Regierung die Weltelite der physikalischen Wissenschaft durch Diskriminierung und Berufsverbote ins politische Asyl, vor allem nach England und in die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort spielten sie eine maßgebliche Rolle bei der Erfindung und dem Bau der ersten Atombombe. Die übriggebliebenen, konfrontiert mit einer „deutschen Physik“, die judenfrei und ohne Relativitätstheorie funktionieren sollte, versuchten sich auch an einer Bombe, kamen damit aber – gott sei Dank – nicht zurande.

Das Defizit der deutschen Physik ist auch nach 50 Jahren noch spürbar. Offenbar gibt es mangels Testerfahrung mit eigenen Bomben auch keine Sensibilität für die Verantwortungslosigkeit, die das Herumspielen mit hochangereichertem und waffenfähigem Uran offenbart. Anders ist es nicht zu erklären, daß eine Gruppe uninspirierter Physiker der Technischen Universität München mit Wolfgang Gläser als Anführer nicht in der Lage ist, einen Reaktor als Neutronenquelle zu bauen, der dem internationalen Stand der Technik entspricht und ohne hochangereichertes Atombomben- Uran funktioniert. In der Privatindustrie, bei Siemens oder ASEA- BBC, die eine Neutronenquelle auch nach eigenen Entwürfen bauen könnten, wäre ein unfähiger Chefingenieur längst auf die Straße gesetzt worden. Man hätte, wenn der deutsche Ausbildungsstand nicht ausreicht, einfach einen französischen, englischen, russischen oder amerikanischen Fachmann engagiert.

Nicht so, natürlich, wenn eine deutsche Universität die Federführung hat. Da darf Herr Gläser weiterwursteln. Politiker höchsten Ranges sorgen dafür, daß seine Unfähigkeit auf dem diplomatischen Parkett so richtig breitgetreten wird und setzen Deutschland dem Gespött der ganzen wissenschaftlichen Welt aus. Haben denn weder Herr Stoiber noch Herr Kinkel einen wissenschaftlichen Berater, der sie vor einer solchen Blamage schützen könnte? Achim Schneider, München

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen