: Frischzellenkur fürs Gehirn
Die Parkinson-Therapie mit Embryonalgewebe wirft die Frage nach der Identität der Empfänger und der Integrität der Spenderinnen auf ■ Von Elisabeth Hildt
Für Parkinson-Patienten scheint endlich eine erfolgversprechende Therapiemöglichkeit in Sicht zu sein – Hirngewebetransplantation heißt das verheißungsvolle Zauberwort. Obwohl diese neuartige Therapiemethode sich derzeit erst in der Forschungsphase befindet, geben die bislang erzielten Ergebnisse Anlaß zu großer Hoffnung.
In Deutschland werden klinische Hirngewebetransplantationen derzeit nicht durchgeführt. Dies soll sich nun ändern – sowohl in München als auch in Hannover sind derartige Experimente geplant.
Die Durchführung von Hirngewebetransplantationen ist jedoch sowohl aus medizinisch-naturwissenschaftlicher als auch aus ethischer Perspektive heftig umstritten. Ein zentraler Punkt ist die Herkunft der eingesetzten Implantate: denn es handelt sich um Gewebematerial, das abgetriebenen menschlichen Embryonen entnommen wurde .
Morbus Parkinson ist eine der häufigsten Erkrankungen des Zentralnervensystems – etwa ein Prozent der über 60jährigen sind betroffen. Die Patienten leiden hauptsächlich unter Muskelsteifheit, verminderter Bewegungsfähigkeit und Zittern. Bislang ist eine Heilung nicht möglich. Durch die herkömmliche pharmakologische Therapie kann meist lediglich eine vorübergehende Linderung der Symptomatik erreicht werden. Langfristig treten bei einem großen Teil der Parkinson-Patienten deutliche Wirkungsverluste auf, die bei sehr vielen Patienten von starken Nebenwirkungen begleitet sind. Mit fortgeschrittener Erkrankung ist ein großer Teil der Patienten weitgehend auf fremde Hilfe angewiesen.
Gerade im Falle von Morbus Parkinson scheinen vergleichsweise ideale Voraussetzungen für die Entwicklung der Hirngewebetransplantations-Methodik vorzuliegen. So ist für das Auftreten der Krankheitssymptome in erster Linie das Absterben eines bestimmten Typs von Zellen, und zwar der im Hirnstamm gelegenen Dopamin-produzierenden Nervenzellen, verantwortlich. Die Folge ist, daß bei Parkinson-Patienten im Projektionsgebiet dieser Nervenzellen, dem Striatum, ein starker Dopamin-Mangel vorliegt. Dopamin wird im Gehirn als Botenstoff (Neurotransmitter) benötigt.
Die Zielsetzung einer Hirngewebetransplantation besteht nun darin, durch Transplantation dopaminhaltiger Implantate in dieses räumlich vergleichsweise eng umschlossene Projektionsgebiet dem bestehenden Transmitter-Mangel entgegenzuwirken.
Insgesamt kommt der Parkinson-Krankheit bei der Entwicklung der Hirngewebetransplantations-Methodik Modellcharakter zu: Sollten in diesem scheinbar sehr günstig gelegenen Fall größere therapeutische Erfolge erzielt werden können, so wird gehofft, daß sich diese mögliche Therapieform bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen, wie beispielsweise Morbus Huntington oder Morbus Alzheimer, anwenden läßt. So erwartet der schwedische Transplantationsforscher Olle Lindvall in ca. zwei Jahren erste Hirngewebetransplantationen bei Huntington-Patienten.
Die ersten klinischen Hirngewebetransplantationen bei Parkinson-Patienten wurden 1982 in Schweden durchgeführt. Hierbei wurde in einer Simultan-Operation den Patienten eine Nebenniere entnommen und das so erhaltene patienteneigene Gewebe mit Hilfe einer Kanüle in das Gehirn implantiert. In der Folge wurden weltweit rund vierhundert Transplantationen von Nebennierenmark-Gewebe durchgeführt. Wegen des geringen therapeutischen Erfolgs und wegen der hohen Komplikationsrate wurde in den letzten Jahren jedoch weitgehend von derartigen Transplantationen abgesehen – nicht zuletzt aufgrund der besseren Ergebnisse bei Verwendung von embryonalem Mittelhirngewebe.
Jedoch konnten auch unter Verwendung von dopaminhaltigem menschlichem Embryonalgewebe bisher meist nur vergleichsweise geringe Verbesserungen der körperlichen Beweglichkeit der Parkinson-Patienten erzielt werden.
Zur Rechtfertigung des Einsatzes von menschlichem Embryonalgewebe wird gerne auf die für eine Transplantation besonders günstigen Eigenschaften dieses Gewebetyps verwiesen. Denn anders als Zellen des Nebennierenmarks können embryonale Nervenzellen langfristig im Empfängergehirn überleben. Außerdem sind nur embryonale Zellen in der Lage, synaptische Kontakte mit dem Empfängerhirn herzustellen. Gerade diese Integration ins Empfängergehirn scheint für einige der beabsichtigten therapeutischen Effekte eine entscheidende Voraussetzung darzustellen.
Obwohl weltweit bisher bei etwa zweihundert Parkinson-Patienten Gewebematerial menschlicher Embryonen implantiert wurde, besteht jedoch ein für Experimente am Menschen unvertretbar hohes Maß an medizinisch- naturwissenschaftlichen Unklarheiten. So gibt es keinerlei Konsens über Alter und Anzahl der benötigten Embryonen. Neuesten Ergebnissen zufolge muß jedoch mit einem Bedarf von ca. fünfzehn Embryonen pro Patient gerechnet werden. Auch über die genaue Lage des Implantationsortes herrscht keine Einigkeit – in einigen Studien ist auch von mehreren räumlich benachbarten Implantationsstellen die Rede. Da darüber hinaus die Methoden, mit denen im Umfeld der Transplantation die Patienten auf mögliche Therapie- Erfolge hin untersucht wurden, von Forschergruppe zu Forschergruppe stark variieren, können die Daten der verschiedenen Studien kaum miteinander verglichen werden. Die Folge ist, daß trotz der insgesamt relativ hohen Zahl an transplantierten Parkinson-Patienten momentan keine gesicherten Aussagen über die Wirksamkeit der embryonalen Implantate beim Menschen gemacht werden können.
Außerdem ist derzeit keineswegs sicher, ob der therapeutische Effekt tatsächlich auf der Freisetzung des Transmitters Dopamin am Implantationsort beruht. Vielmehr sprechen eine Reihe von Hinweisen dafür, daß die Wirkung der Implantate auch durch die Freisetzung von Wachstumsfaktoren hervorgerufen werden könnte, aber auch allein durch die im Zuge der Operation auftretende Verletzung des Gehirns bedingt sein könnte. Auch reine Placebo-Effekte können derzeit nicht ausgeschlossen werden.
Nicht zuletzt aufgrund dieser vielfältigen Unstimmigkeiten erweist sich in den Forschungsstudien der Umgang mit den transplantierten Patienten als ethisch äußerst problematisch. Dies wird um so deutlicher, handelt es sich bei einer Hirngewebetransplantation doch um einen operativen Eingriff in das als Sitz der Personalität geltende Gehirn. Operationsbedingte Einflüsse auf mentale Charakteristika der betroffenen Patienten können daher keineswegs generell ausgeschlossen werden, sie liegen vielmehr besonders nahe. Um so stärker verwundert es, daß bisher in den Fach-Publikationen eine detaillierte Untersuchung neuropsychologischer Aspekte – also die Frage, inwieweit sich durch die Transplantation möglicherweise die Persönlichkeit der betroffenen Patienten verändert – häufig weitgehend vernachlässigt wurde. So ist bei einem Auftreten von operationsbedingten Persönlichkeitsveränderungen mit weitreichenden Auswirkungen auf den gesamten Lebensbereich der betroffenen Person zu rechnen. Gravierende Identifikationsprobleme können die Folge sein. Aber auch die grundsätzlichere Frage erhebt sich hier, inwieweit in einem solchen Fall eine Person noch für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden kann. Für eine adäquate Erfassung dieses äußerst sensiblen Bereichs sind gezielte, detaillierte Untersuchungen dringend vonnöten.
Nun mag zu Beginn der Entwicklung einer neuartigen Therapiemethode durchaus mit gewissen Anfangsschwierigkeiten zu rechnen sein. Unstrittig ist jedoch, daß klinische Transplantationsstudien – zumal an einem so komplexen Organ wie dem menschlichen Gehirn – nur vor dem Hintergrund gediegener Ergebnisse der Grundlagenforschung erfolgen sollten. Obwohl Tiermodelle zur Verfügung stehen, die geeignet sind, zur Beantwortung eines Teils der offenstehenden Fragen beizutragen, wurde eine detaillierte Klärung zentraler Fragen im Vorfeld der klinischen Untersuchungen weitgehend versäumt.
Angesichts dieser Ausgangslage verwundert es um so mehr, daß immer wieder Parkinson-Patienten zur Durchführung einer Hirngewebetransplantation bewegt werden konnten. Die Vermutung drängt sich auf, daß bei den betroffenen Patienten zu starke Hoffnungen auf eine baldige Linderung ihrer oftmals dramatischen Symptome geweckt wurden. Darüber hinaus muß auch das Verhalten der jeweiligen Ethik-Kommissionen in Frage gestellt werden, da diese ihre Zustimmung zu den ethisch bedenklichen Transplantations-Studien gaben.
Der Einsatz von menschlichem Embryonalgewebe bei Transplantationen wirft eine Reihe weitgehend ungelöster ethischer Probleme auf. Jedoch hält die Bundesärztekammer die Verwendung von abgetriebenen Föten zu experimentellen und therapeutischen Zwecken für ethisch vertretbar, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Einigen unmittelbar problematischen Aspekten der Verwendung von menschlichem Embryonalgewebe versuchen die beteiligten Forscher durch die Annahme von Ethik-Richtlinien entgegenzuwirken. So verpflichten sich Forscher, die dem „Europäischen Netzwerk für Transplantationen und Regeneration im Zentralnervensystem“, NECTAR abgekürzt, angehören, in diesem Zusammenhang unter anderem die folgenden Richtlinien einzuhalten: Es dürfen nur tote Embryonen verwendet werden. Die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch darf unter keinen Umständen von der Möglichkeit beeinflußt werden, den Embryo für Transplantationszwecke einzusetzen. Erst nachdem die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch eindeutig gefallen ist, darf die Schwangere über eine mögliche Verwendung des Embryos befragt werden. Der Zeitpunkt und die Art der Abtreibungsprozedur dürfen durch die geplante Transplantation nicht beeinflußt werden, wenn dies in Konflikt mit den Interessen der betroffenen Frau oder dem Wohlbefinden des Embryos stünde. Ein Handel mit Embryonen muß verhindert werden.
Diese Richtlinien dienen zunächst lediglich dazu, den praktischen Umgang mit menschlichen Embryonen auf möglichst pragmatische Weise zu gewährleisten und möglichen Mißbrauch – so dies überhaupt möglich ist – auszuschließen. Nützlichkeitsüberlegungen stehen in diesem Zusammenhang im Vordergrund. Hierbei wird angenommen, daß vorhandenes, aber bislang unnützes embryonales Gewebematerial durch den Einsatz für Transplantationszwecke einer sinnvollen Verwendung zugeführt werden kann.
Grundlegende ethische Fragen werden hierdurch jedoch in keiner Weise angeschnitten. So mag es bei unvoreingenommener Betrachtung geradezu absurd erscheinen, daß in einer menschlichen Gesellschaft ein Teil der potentiellen Nachkommen zur Erhöhung der Lebensqualität der lebenden Generation eingesetzt werden soll. Die Verfügbarkeit über das menschliche Leben hat hier eine neue Stufe erreicht. Auch wenn ein Schwangerschaftsabbruch ein in weiten Teilen der Gesellschaft akzeptiertes Mittel zur Lösung eines Schwangerschaftskonfliktes darstellt, scheint hierdurch keineswegs automatisch die Weiterverwendung des Abtreibungsproduktes Embryo legitimiert zu sein. Außerdem gibt Detlef Linke in seinem 1993 erschienenen Buch „Hirnverpflanzung – Die erste Unsterblichkeit auf Erden“ zu bedenken, „daß Gewebeentnahme zwecks Organverpflanzung nur beim Hirntoten gestattet ist, daß der Hirntod aber nicht vorliegen kann, wenn lebendiges Hirngewebe verpflanzt wird“.
Darüber hinaus zeigt sich rasch, daß diese Richtlinien allenfalls für die frühe Forschungsphase eingehalten werden können. Für den Fall einer breiten therapeutischen Anwendung von Hirngewebetransplantationen wird schnell das Ausmaß der zu erwartenden Folgen deutlich. Denn anders als bei Herztransplantationen, bei denen vollständige Unabhängigkeit besteht zwischen dem Tod eines Unfallopfers und einer anschließenden Transplantation, kann diese Unabhängigkeit im Falle der Transplantation von Embryonalgewebe lediglich in der frühen Forschungsphase gegeben sein. Da es sich bei der Parkinson-Krankheit um eine sehr weit verbreitete Erkrankung handelt, wird bald mit einem recht hohen Bedarf an menschlichen Embryonen zu rechnen sein. Sollte eine Hirngewebetransplantations-Therapie – wie erhofft – bei weiteren neurodegenerativen Erkrankungen anwendbar sein, steigt dieser Bedarf weiter an. Zu erwarten ist, daß sich Zeitpunkt, Ort und Art des geplanten Schwangerschaftsabbruchs sehr bald in erster Linie nach dem zur Transplantation benötigten Gewebematerial richten werden. Bei den schwangeren Frauen wird sich schnell ein Zusammenhang herstellen zwischen einem Schwangerschaftsabbruch und der möglichen Verwendbarkeit des Abtreibungsproduktes für einen therapeutischen, also guten Zweck. Hierdurch wird ein Schwangerschaftsabbruch in gewissem Sinne legitimiert und die Frauen zur Produktionsstätte von embryonalem Gewebe degradiert. Mißbrauch ist geradezu vorprogrammiert.
So sind Situationen denkbar, in denen Frauen sich verpflichtet fühlen, für Verwandte oder Bekannte einen Embryo „zur Verfügung zu stellen“. Äußerst naheliegend ist auch die Möglichkeit, die finanzielle Not von Frauen gezielt zur Produktion von Embryonen auszunützen. Es bedarf keiner großen Phantasie, um zu erkennen, wie lukrativ ein – wenn auch illegaler – Handel mit abgetriebenen Embryonen ist. Mit gesetzlichen Regelungen oder ethischen Richtlinien kann ein derartiger Abtreibungshandel kaum verhindert werden – dies zeigt ein Blick auf den zwar verbotenen, aber dennoch blühenden Handel mit zur Transplantation geeigneten menschlichen Nieren.
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