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„Linksextrem und pseudorevolutionär“

■ Im „Spannungsfall“ wollte die Stasi Westberliner internieren – auch taz-Mitarbeiter

Berlin (taz) – Die Staatssicherheit der DDR ließ sich ihre Planung für den sogenannten Spannungs- und Verteidigungsfall etwas kosten. Noch 1988 war ein Mitarbeiter der Berliner Bezirksverwaltung „zu 80 Prozent“ abgestellt, eine Kartei mit rund 800 Namen, Daten und Kurzdossiers von Westberliner „Funktionsträger“ auf dem aktuellen Stand zu halten. Wäre der „Spannungsfall“ eingetreten, der offensichtlich für die DDR-Planer die Besetzung Westberlins bedeutete, hätte er für die Aufgelisteten die sofortige Inhaftierung durch die Stasi zur Folge gehabt. Betroffen: Berliner Spitzenpolitiker, Mitglieder radikaler Gruppen, Medienvertreter – auch Mitarbeiter der taz.

Die Planungen für den Westteil Berlins reihten sich nahtlos ein in die übergeordneten Überlegungen für den Spannungsfall. DDR-weit sahen diese die Festsetzung von DissidentInnen und AusländerInnen vor. Die Akten trugen die Kennziffer „Kz 4.1.3“ und den Decknamen „Vorbeugekomplex“. In den Panzerschränken der MfS- Kreisdienststellen lagerten dazu versiegelte Umschläge, die auf ein zentral übermittelten Kodewort hin geöffnet werden sollten. Für mehr als 13.000 Personen hätte dies umgehend Internierung und „Isolierung“ bedeutet; weitere 72.000 wären unter verschärfte Kontrolle gestellt worden.

Westberlin, dem Brückenkopf des Klassenfeindes im Herzen der DDR, sollte im Spannungsfall schlagartig die Struktur der Staatssicherheit übergestülpt werden. Die Unterlagen, die bis zum Ende der DDR jährlich aktualisiert wurden, sahen die Errichtung von zwölf Stasi-Kreisdienststellen im Westen Berlins vor – vom Leiter bis zum Wachpersonal war das Personal schriftlich fixiert.

Der Ostberliner Bezirksverwaltung wurde in diesem Zusammenhang als „linienspezifischen Aufgaben“ übertragen: die „Festnahme, Isolation beziehungsweise Internierung der feindlichen Kräfte“, deren „Zuführung in die festgelegten Zuführungspunkte“ und die „Sicherung der Erstvernehmung bedeutender Personen“.

Vor wenigen Tagen fanden nun Mitarbeiter der Gauck-Behörde Unterlagen, aus denen hervorgeht, welchen Personenkreis die Internierungsvorbereitungen betroffen hätte: „Geheimdienstmitarbeiter, Leitungskräfte der bekannten Feindorganisationen, leitende Polizeikräfte, PID-Mitarbeiter [PID stand für „politisch-ideologische Diversion“] aus den Medien, Spitzenbeamte aus Schwerpunktbereichen des Staatsapparates“.

Ein ziemlich buntes Völkchen wäre da an den „Isolierungsstützpunkten“ zusammengepfercht worden. 37 „Feindobjekte“ listete die Stasi auf, von der Aktion Sühnezeichen bis zum Zentralverband Politischer Flüchtlinge und Ostgeschädigter. Im Visier der Stasi waren die Wiking-Jugend ebenso wie der Bund Westdeutscher Kommunisten. Als „Feinde“ wurden weiter die „Komba – Betriebsgruppe Deutsche Reichsbahn“, die „Grauen Wölfe“ oder das „Durchgangsheim für Aussiedler und Zuwanderer“ registriert. Der Axel- Springer-Verlag wurde auf die Liste gesetzt, ebenso die Ostredaktion des Senders Freies Berlin. Mit Nummer 31 wurde auch die taz als Feindobjekt ausgemacht, mit den Stichworten „linksextremistisch/ pseudorevolutionär“.

Detaillierte Namenslisten müssen existiert haben, sind aber bislang nicht aufgetaucht. Das geht etwa aus einer Dienstanweisung von 1988 hervor, in der die „regelmäßige Aktualisierung und Präzisierung zu den bereits erfaßten Personen“ angeordnet wurde. Noch für 1990 sollte eine „Realisierungsdokumentation“ erstellt werden. Ironie der Geschichte: Als Vorsitzender der Bezirkseinsatzleitung hatte der SED-Funktionär Günter Schabowski die Internierungsmaßnahmen auszulösen. Schabowski war es dann aber, der mit der Verkündung der „offene Grenze“ das Ende des SED-Regimes bekanntgeben durfte. Wolfgang Gast

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