piwik no script img

„Sie sollen uns nicht belügen“

■ SchülerInnenkammer trifft sich heute mit Schulsenatorin Rosemarie Raab Von Kaija Kutter

Heute abend trifft sich Schulsenatorin Rosemarie Raab zum Gespräch mit SprecherInnen der Hamburger SchülerInnenkammer. Nach zwei großen Demonstrationen durch die Hamburger City am 27. April 1994 und am 26. April '95 sowie zwei Besetzungen der Schulbehörde – jeweils am Tag nach den Demos – scheint damit der von den SchülerInnen gewünschte Dialog endlich zustande zu kommen.

Zum Beispiel über die Kritik von Lehrern an der Kürzungspolitik des Senats. Denn mit ihnen, die als einzige Berufsgruppe in diesem Sommer eine Arbeitszeitverlängerung hinnehmen sollen, zeigen sich die Schüler solidarisch. Schon aus Eigennutz, wie Kammersprecher Steven Galling erklärt. Denn diese Sparmaßnahme wirkt der Verjüngung der Lehrerschaft – derzeitiges Durchschnittsalter 47 Jahre – noch weiter entgegen. Auch ginge die Mehrarbeit zu Lasten dringender pädagogischer Maßnahmen wie Gespräche, Klassenreisen oder Wandertagen.

Doch mit Vorstellungen wie sie die GEW verbreitet – etwa die Abschaffung der Halbjahreszeugnisse oder die Verringerung der Klausuren in der Oberstufe – können sich die Schülervertreter nicht so recht anfreunden. „Als Schüler ist man eher für Halbjahreszeugnisse“, sagt Galling. „Dann hat man wenigstens eine Richtlinie, wo man steht“. Und ohne Klausuren, so erklärt die Schülerin Aline von Drateln, hätten Schüler, die sich gegen ungerechte mündliche Noten zur Wehr setzen wollen, „gar nichts in der Hand“.

Je weniger Klassenarbeiten, desto gravierender das Einzelergebnis, gibt auch der Bergedorfer Schulsprecher Volkert Jürgens zu bedenken. Ein Effekt, der bereits im Zuge der jetzt erstmals praktizierten Verschiebung des Abiturs ans Ende des letzten Oberstufensemesters zu tage tritt. Früher wurde dieses Semester nicht in die Abi-tursnote einbezogen. Heute, so erklärt Jürgens, ginge die einzige Klausur, die kurz vor Schluß noch geschrieben wird, zu 40 Prozent in die schriftliche Note ein.

Die Durchsetzung der Abitursverschiebung gegen den ausdrücklichen Willen von SchülerInnenkammer und Lehrerkammer sehen die SchülerInnen denn auch als Paradebeispiel für undemokratisches Vorgehen der Schulbehörde. Zwar wurde die Neuregelung nur für drei Jahre probeweise eingeführt. Doch ein Fragebogen über erste Erfahrungen ging nur an die Lehrer, nicht an die Schüler. „Ich empfinde das 4. Semester noch stärker als Selektion“, sagt Volkert, der seine Prüfungen gerade hinter sich hat. Die wichtigsten schriftlichen Arbeiten mußte er ohne nennenswerte Vorbereitungszeit an zwei Tagen hintereinander schreiben. „Eine Woche vor Schluß habe ich noch neuen Stoff gepaukt, der in der Abi-Prüfung überhaupt keine Rolle spielt“, berichtet auch Abiturientin von Drateln. Die Rücknahme der Abi-Verschiebung ist denn auch ein zentrales Anliegen, das die Schüler der Senatorin näherbringen wollen.

Aber es geht noch weiter: mehr Demokratie, Mitspracherecht für Schüler auf Lehrerkonferenzen, Stimmrecht der Kammern bei wichtigen Entscheidungen – die Vorstellungen der Jugendlichen passen in die Diskussion um das neue Schulgesetz und mehr Autonomie. Andererseits plane die Schulbehörde neue Gesetze, „vernichtet aber zugleich die Möglichkeiten, daß da auch was Gutes zustande kommt“, kritisiert die Bramfelder Schulsprecherin Kristina Vesper. „Wir brauchen aktive Lehrer, und keine, die abgeschlafft und demotiviert sind“. Und, egal was in Gesetzen steht, scheitere ernsthafte Mitbestimmung meist an den Hierarchieverhältnissen vor Ort.

Nicht ernstgenommen fühlen sich die Schüler auch von Behördenvertretern: „Sie sollen uns nicht so belügen“, sagt Volkert. Denn statt zuzugeben, daß es gravierende Sparmaßnahmen gibt, würde die Senatspolitik stets nur verteidigt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen