: Rasche Hilfe ist möglich
Seit über 30 Jahren wandert der Cholera-Erreger El Tor von Kontinent zu Kontinent ■ Von Ute Sprenger
Für sechs der Fluggäste einer Maschine, die Anfang 1992, aus Lateinamerika kommend, in den USA landete, hatte ärztliche Unwissenheit über die Behandlung einer bekannten Infektionskrankheit fatale Folgen. Ein Meeresfrüchtesalat, der nach der Zwischenlandung in der peruanischen Hauptstadt Lima an Bord serviert wurde, war es, an dem sich einige der Passagiere mit dem Cholera- Erreger infiziert hatten. Die meisten jener, die sich nach der Infektion in Behandlung begaben, wurden medizinisch jedoch falsch versorgt. Wie das US-Zentrum für die Kontrolle von Infektionskrankheiten (CDC) feststellte, wurden schwerste Austrocknungen infolge des Brechdurchfalls nicht ausreichend intravenös behandelt. Kaum einer der Erkrankten erhielt die notwendige Therapie mit Elektrolyten. Mehr als notwendig wurden statt dessen Antibiotika verabreicht. Für fünf der Reisenden endete die Infektion mit Nierenversagen, für einen mit dem Tod.
Die mediale Dramatisierung des zentralafrikanischen Ebola- Virus verdeckt, daß Infektionskrankheiten, die einstmals in Europa und in den Vereinigten Staaten besiegt geglaubt waren, weltweit wieder auf dem Vormarsch sind. Virale oder bakterielle Infektionen wie Tuberkulose, Diphtherie und Cholera sind zwar ebenso vermeidbar wie seit langem schon behandelbar. Dennoch ist die Zahl derer, die an den typischen „Krankheiten des Elends“ leiden, steigend. Ein Geflecht aus Armut und ökologischem Desaster, Mobilität, falscher Behandlung mit Medikamenten und mangelnden Gesundheitsdiensten begünstigt ihre Verbreitung.
Die Erreger von Infektionen, einfache Lebewesen wie Bakterien, Viren oder Pilze, die schon lange vor dem Menschen die Erde besiedelten, feiern nach den wenigen Jahren, in denen sie mit Pestiziden, Chemoprophylaxe und -therapie bekämpft wurden, ein Comeback. Sie vermehren sich in Windeseile dort, wo sich die Lebensbedingungen verschlechtern und Hygienestandards vernachlässigt werden. Wie zum Beispiel in Mexiko, wo die Cholera seit Januar über 1.700 Menschenleben gefordert hat. Immer schneller gelingt es auch den Mikroorganismen, sich ihrer Umwelt anzupassen. Zunehmend sprechen infektiöse Keime nicht mehr auf herkömmliche Behandlungsmethoden an. Der Grund: Mutationen oder übermäßiger und falscher Gebrauch von Medikamenten, etwa von Antibiotika. Erst 1992 wurde in Südasien ein neuer Cholera-Erreger entdeckt. Mit ihm nimmt die infektiöse Darmkrankheit, die zumeist durch kontaminiertes Trinkwasser oder durch Nahrungsmittel übertragen wird, einen schwereren Verlauf als bisher. Behandelbar ist die Cholera dennoch, selten jedoch mit Antibiotika. Die heftigen Brechdurchfälle können bei den Erkrankten zur Austrocknung und zu Nierenschäden bis zum Herzstillstand führen. Deshalb müssen schwere Fälle intravenös rehydriert werden. Sobald die PatientInnen dazu in der Lage sind, müssen sie vor allem viel trinken. Doch sauberes Wasser allein reicht nicht aus, um die mit den Körperflüssigkeiten ausgeschwemmten lebenswichtigen Elektrolyte zu ersetzen. Meist kann rasch geholfen werden, wenn dem Trinkwasser ein mit Salzen versetztes Pulver beigemischt wird, das die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auch allgemein bei Diarrhöe empfiehlt. Dennoch wird diese simple und preiswerte Therapie zu selten angewendet. In der reichen Welt sind ÄrztInnen oftmals nicht in der Lage, „importierte“ Cholera zu erkennen, und wenig mit der oralen Rehydrationsmethode (ORT) vertraut. In armen Ländern fehlen schlicht und einfach die Mittel und zudem das saubere Wasser. Der Cholera-Erreger, den die Reisenden vor drei Jahren aus Lateinamerika in die USA importierten – das Bakterium Vibrio cholerae 01 oder Biotyp El Tor, wie der Infektionskeim auch genannt wird –, ist eine Erreger-Variante, die 1961 erstmals in Indonesien auftrat. Seither zieht El Tor von Kontinent zu Kontinent. Über achtzig Länder melden mittlerweile Erkrankungen, weshalb die WHO auch von einer Cholera-Pandemie, einer Epidemie größeren Ausmaßes, spricht. Die jahrzehntelange Wanderung des an den Menschen angepaßten infektiösen Bakteriums läßt sich recht gut nachverfolgen.
Erstmals aktenkundig wurde El Tor auf der indonesischen Insel Celebes, und es waren vermutlich Reisende, die ihn von dort aus rasch weltweit verbreiteten. Der Erreger erreichte 1963 Bangladesch, ein Jahr später Indien und kurz darauf die Sowjetunion. Inzwischen tritt er in elf asiatischen Staaten auf. 1970 schließlich kam El Tor in Westafrika an, wo die Cholera bis dahin unbekannt war, seither jedoch endemisch geworden ist. Wegen schlechter Gesundheitsversorgung sterben an der Dehydrierung, dem Schock und anschließendem Herzversagen in Afrika mehr Menschen als anderswo auf der Welt. Und, was hiesigen Medien bislang keine Nachricht wert war: Eigentlich hätten viele der 12.000 Cholera-Toten unter den ruandischen Flüchtlingen, die im Sommer letzten Jahres im zairischen Goma betrauert wurden, eine Überlebenschance gehabt. Ein Team bengalischer Fachärzte für Durchfallerkrankungen nahm die Behandlungsmethoden verschiedener Helferteams vor Ort unter die Lupe und stellte fest, daß die ausgezehrten, an Cholera leidenden Flüchtlinge nur selten richtig versorgt worden waren.
An Lateinamerikas Pazifikküste gelangte El Tor vermutlich als blinder Passagier an Bord eines Schiffes. 1991 hatte ein chinesisches Schiff im Hafen von Lima kontaminiertes Bilgewasser aus dem unteren Schiffsraum abgelassen. Über Fische und andere Meeresfrüchte gelangte der Erreger an die Menschen und löste eine heftige Choleraepidemie aus, von der besonders Peru betroffen wurde. Wie schon in Afrika traf El Tor auch hier auf große Armut, kaum sanitäre Einrichtungen und eine fehlende Grundversorgung. Und möglicherweise begünstigte die Entscheidung peruanischer Stellen, die Chlorierung des Trinkwassers wegen gesundheitlicher Bedenken in weiten Teilen des Landes einzustellen, die rasche Ausbreitung der Infektion.
Daß die Cholera nun vor den Toren Europas angekommen ist, zeigen die Ausbrüche im Herbst letzten Jahres in Rumänien, der Türkei und Italien. Für Italiens Cholerafälle, die im Oktober 1994 bekannt wurden, machen viele das wegen fehlender Kläranlagen verdreckte Meer verantwortlich. Beschäftigte aus der Fischerei dagegen, die um ihre Arbeitsplätze bangten, griffen zur xenophobischen Variante und machten albanische Flüchtlinge als Verursacher der Infektionskrankheit aus. Indes ist kaum zu befürchten, daß die Cholera in Westeuropa oder den USA das Ausmaß einer Epidemie annehmen wird. Dafür sorgen die allgemeinen Hygienestandards beim Trinkwasser.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen