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Nichts als Spekulation

■ Senatsverwaltungen für Soziales und Inneres: Kein Mißbrauch in großem Stil bei Sozialhilfe für Kriegsflüchtlinge

Wird in Berlin zeitweise mehr als die Hälfte der ausgezahlten Sozialhilfe für Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien illegal bezogen, und versickern dadurch rund 140 Milliarden Mark in der organisierten Kriminalität? Die Senatsverwaltung für Soziales wies gestern entsprechende Presseberichte zurück. „Wir wissen von keinem ertappten Täter“, sagte Pressesprecherin Rita Hermanns.

Grundlage für die Berichte über den angeblichen Mißbrauch im großen Stil war ein internes Papier der Senatsverwaltung für Inneres, das sich auf eine Großrazzia im Kreis Aachen vor vier Jahren bezog. Dort hatte eine Überprüfung aller sozialhilfeberechtigten Asylantragsteller ergeben, daß die Hälfte der Sozialhilfe illegal bezogen wurde, so Pressesprecher Thomas Raabe. Nach der Überführung von Paßfälschern sei die Zahl der berechtigten Sozialhilfebezieher aus dem ehemaligen Jugoslawien von 4.208 auf 2.449 zurückgegangen.

Das heiße aber noch lange nicht, meinte Raabe weiter, daß eine Überprüfung in Berlin ähnlich ausfallen würde. „Eine Zwangsläufigkeit sehe ich nicht“, so der Pressesprecher. „Das sind Spekulationen.“ Aufgrund „mangelnder rechtlicher Grundlagen“ habe man auch gar keine Kontrolle über einen etwaigen Mißbrauch.

Die Polizei stellte zwar in den letzten Jahren 500 Fälle von „Mehrfachidentität bei Bürgerkriegsflüchtlingen“ fest. Doch das sei kein Beweis dafür, daß in allen Fällen tatsächlich mehrfach Sozialhilfe kassiert wurde, so die Pressestelle.

Die Senatsverwaltung für Inneres hatte im letzten Sommer einen Vorstoß unternommen, sämtliche Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien erkennungsdienstlich zu behandeln. Eine Forderung, die auch die Polizei als „einzig probates Mittel“ zur Vermeidung von Mißbrauch ansieht. „Durch eine Identitätsbehandlung käme man solchen Fälschern auf die Spur“, sagte ein Polizeisprecher. Der Versuch der Ausländerpolizei im vergangenen Jahr, alle bosnischen Pässe mit einem Zeichen zu markieren, verbot der Datenschutzbeauftragte Hansjürgen Garstka.

Nach Ansicht der Senatsverwaltung für Soziales würde auch eine solche Kennzeichnung „nichts bringen“. Durch die derzeitige „Geburtstagsregelung“ werde der Mißbrauch erschwert. Die Auszahlung von Sozialhilfe für Bürgerkriegsflüchtlinge erfolgt bei den Sozialämtern nach dem entsprechenden Geburtsdatum der Antragsteller. „Keiner will, daß Mafiagruppen Geld abzocken“, so Pressesprecherin Rita Hermanns. Aber es sei auch nicht Aufgabe der Sozialverwaltung, Paßfälscher ausfindig zu machen. Barbara Bollwahn

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