: „Die Partei bringt mich nicht weiter“
Chinas Intellektuelle fordern erneut Meinungsfreiheit und Demokratisierung / Säuberungen in der KP ■ Aus Peking Sheila Tefft
Für die junge Reporterin der Volkszeitung, dem offiziellen Organ der chinesischen Kommunistischen Partei, gibt es keinen Zweifel: nach dem Hochschulabschluß wird sie in die Partei eintreten. Ihre Eltern, beide Professoren, sind drin. Schon als sie zur Kommunistischen Jugendliga gehörte, sagte man ihr immer wieder, daß Parteimitgliedschaft eine „Ehre“ sei. Vor allem aber brauchte sie einen Job, und die Volkszeitung war das einzige Blatt, das neue Leute einstellte. „Andere Stellenangebote hatte ich nicht“, erklärt sie. „Insgesamt entscheiden sich aber heutzutage immer mehr StudentInnen gegen die Arbeit in staatlichen oder Parteiorganisationen; sie wollen Jobs, die mehr Geld und mehr Möglichkeiten bieten.“
Ein Kommilitone, der mit ihr zusammen das Examen gemacht hat, wird bei einem ausländischen Joint-venture zu arbeiten, einem Pharmaunternehmen in der südchinesischen Stadt Guangzhou (Kanton). Er habe die Aufforderung eines Funktionärs, in die Partei einzutreten, abgelehnt, sagt der junge Mann. „Ich kenne nur wenige Leute, die heutzutage noch Parteimitglieder werden wollen“, meint er. „Dafür muß man viel Zeit aufwenden, und es würde mich nicht weiterbringen.“
Korrupt, fraktioniert und jeder Ideologie oder Achtung entkleidet, ist die chinesische KP wieder einmal dabei, ihre Überlebensfähigkeit zu sichern. Obwohl die Partei 55 Millionen Mitglieder stark ist und behauptet, jedes Jahr eine weitere Million zu gewinnen, verliert die Partei jegliche Glaubwürdigkeit und ist von Skandalen geschüttelt.
Die letzte große kommunistische Bastion befindet sich in einem Belagerungszustand – von innen und von außen. Im Vorfeld des sechsten Jahrestages der Niederschlagung der Demokratiebewegung am 4. Juni hat es eine Vielzahl von Petitionen und Appellen gegeben, die den Zorn der Pekinger Führung hervorgerufen haben. Wie in den letzten Jahren gab es wieder eine Welle von Verhaftungen gegen Intellektuelle und führende Dissidenten. Seit der vergangenen Woche, als die erste der Petitionen auftauchte, die von 45 führenden chinesischen WissenschaftlerInnen und Intellektuellen unterzeichnet wurde, sind mindestens 20 Leute festgenommen worden oder verschwunden.
Die an den Staatspräsidenten und Parteichef Jiang Zemin gerichtete Petition fordert die Machthaber auf, eine Neubewertung der Geschehnisse von 1989 zuzulassen und scharf gegen die Bestechlichkeit der Funktionäre, Unterschlagung öffentlichen Eigentums und „andere Phänomene der Korruption, die überall zu finden sind“, vorzugehen.
Die Unterzeichner der Petition, zu denen Wang Ganchang gehört, der die erste chinesische Atombombe entwickelt hat, appellieren an die Partei, ihre Verurteilung der Aktivisten von 1989 als „Konterrevolutionäre“ oder „subversive Elemente“ zu revidieren. Sie rufen des weiteren dazu auf, alle chinesischen politischen und religiösen Gefangenen freizulassen und fordern mehr Toleranz gegenüber unabhängigem Denken und anderen Anschauungen.
Zu den Dissidenten, die in den vergangenen Tagen abgeholt wurden, zählt Wang Dan, 1989 einer der führenden Studentenaktivisten; Wang hat Berichten zufolge einen Hungerstreik begonnen. Dazu gehören des weiteren: der Rechtsexperte Chen Xiaoping; Liu Xiaobo und Huang Xiang, Initiatoren und Unterzeichner von Petitionen; und Wang Xizhe, ein bekannter Regimekritiker seit 1974, der bereits 12 Jahre Gefängnis hinter sich hat.
„Die Bedeutung der Petitionen liegt nicht nur im Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung. Sie zeigen zugleich, daß dieses ein Thema ist, das einfach nicht weggehen will“, sagt ein westlicher Diplomat. Er hält es für gut möglich, daß die Appelle von hochrangigen Funktionären unterstützt werden, die eine Neuaufnahme der Debatte um die Bewertung von 1989 anstreben.
Zwar übt die Partei immer noch einen gewissen Einfluß im Alltag vieler Chinesen aus – durch Arbeitseinheiten oder als Arbeitgeber, in Nachbarschaftsorganisationen oder Schulen. Immer mehr hochrangige Parteifunktionäre räumen jedoch ein, daß die in der Bevölkerung verbreitete Verachtung korrupter Kader dazu geführt hat, daß die kommunistische Organisation von innen her verfällt.
Seit Monaten läuft eine Säuberungskampagne innerhalb der Partei. Untere Funktionäre, die der Bestechlichkeit, Unterschlagung oder anderer Verfehlungen beschuldigt wurden, sind ausgeschlossen, verhaftet oder sogar hingerichtet worden. Aufregung verursachte die Antikorruptionskampagne aber erst im vergangenen Monat, als sie die höheren Etagen der Macht erreichte. Chen Xitong, der mächtige Parteisekretär von Peking, verlor seinen Posten, wenige Wochen nachdem sein engster Mitarbeiter und Vizebürgermeister Wang Baosen offenbar Selbstmord verübte. Wang soll in zahlreiche dunkle Immobiliengeschäfte verwickelt gewesen sein.
Der als Antikorruptionskampagne der Zentrale gegen den mächtigen Pekinger Parteiapparat gerichtete Vorstoß wird allgemein als Demonstration der Stärke des chinesischen Präsidenten und Parteichefs Jiang Zemin gewertet. Letzte Woche gab es neue Erschütterungen in der Parteispitze, bei denen unter anderem der Pekinger Hardliner Yuan Mu seinen Posten verlor. Yuan war 1989 als knallharter Parteisprecher bekanntgeworden. Jiang Zemin gilt als handverlesener Nachfolger des sterbenden Deng Xiaoping.
Der Sturz Chen Xitongs und Yuan Mus, die beide für die brutale Unterdrückung der Proteste von 1989 standen, wird bei einigen chinesischen Intellektuellen und Dissidenten als ermutigendes Signal verstanden. „Seit dem 4. Juni haben wir versucht, die Schmerzen zu lindern. Wir sind politisch betäubt“, sagt ein Wirtschaftsprofessor, der 1989 dabei war. „Aber eines Tages, das wissen wir, wird es eine Rehabilitierung geben.“
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