Ein großes Loch in Pieroths Kasse

■ Im 95er Finanzetat fehlen 500 Millionen Mark / Geringere Steuereinnahmen / Opposition fordert Nachtragshaushalt

Obwohl Berlin in diesem Jahr voraussichtlich 473 Millionen Mark weniger an Steuergeldern einnehmen wird, soll es keinen Nachtragshaushalt geben. Dazu bestehe kein Anlaß, wies gestern der Sprecher der Senatsverwaltung für Finanzen, Klaus-Hubert Fugger, entsprechende Forderungen der Opposition zurück. Um den Haushalt zu konsolidieren, hatten gestern Bündnis 90/Die Grünen und die FDP die Überprüfung und gegebenenfalls den Verzicht von Großprojekten verlangt. Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) will statt dessen durch verstärkte Einsparungen bei den Verwaltungen und höhere Einnahmen die Haushaltslöcher stopfen. Zu Details wollte sich Fugger nicht äußern, um den Senats-Gesprächen nicht vorzugreifen.

Zusätzliche Schwierigkeiten bereitet Berlin die erwartete Mindereinnahme beim Länderfinanzausgleich. Da Geberländer wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen „erhebliche Steuereinbrüche“ zu verzeichnen hätten, sei in diesem Jahr mit einem Rückgang von 30 Millionen Mark zu rechnen, so Fugger gestern. Aus dem Bund- Länder-Topf waren ursprünglich für 1995 rund 8,6 Milliarden veranschlagt worden. Zusammen mit den Steuerverlusten summiert sich die neue Ausfallsumme im laufenden Haushaltsjahr auf knapp über 500 Millionen Mark.

Hinzu kommen weitere offene Schecks. Im Kulturetat wird aller Voraussicht nach ein Fehlbetrag von 88 Millionen Mark bleiben. Berlins ursprüngliche Forderung an Bonn belief sich auf 148 Millionen Mark. 60 Millionen Mark wird es aller Voraussicht nach nur geben, sollte der Bundestag der jüngsten Empfehlung des Vermittlungsausschusses des Bundesrats folgen. Weitere 150 Millionen Mark, die der jüngste Tarifabschluß für den öffentlichen Dienst dem Landeshaushalt aufbürdet, sollen durch pauschale Minderausgaben bei Sachmitteln und Personal in den Verwaltungen erbracht werden.

Für Konflikte in der Großen Koalition könnten die Kosten für die Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien sorgen. Neben den Einsparungen bei der Unterbringung hatte die CDU bei den Haushaltsberatungen des Senats im vergangenen Jahr auf verstärkte Abschiebungen gedrängt. Durch die Rückführung in ihre Heimatländer sollten 1995 die Ausgaben um rund 90 Millionen Mark zurückgefahren werden. Diese Summe sei bei weitem nicht erreicht worden, erklärte gestern der Sprecher der Sozialverwaltung, Wolfgang Zügel. Nach einer Modellrechnung werde das Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben 1995 durch niedrigere Heimkosten für Kriegsflüchtlinge statt 30 Millionen sogar 89 Millionen Mark einsparen. Durch zusätzliche Anstrengungen der Bezirke würden insgesamt 112 Millionen Mark weniger ausgegeben.

Die SPD-Spitzenkandidatin und Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) forderte den Finanzsenator gestern auf, einen „lückenlosen Bericht“ vorzulegen. Offenbar wolle Pieroth verdecken, daß er mit seinen bisherigen Rechnungen „kräftig danebenlag“ und versuche, den Schwarzen Peter an die Fachsenatoren weiterzugeben. Severin Weiland