Peitschende Rhythmen

■ Aufsehenerregende Konzerte um den 50. Todestages von Béla Bartók: vier Abende mit Streichquartetten und Kammermusik.

Von einem interpretatorischen Wunder zu sprechen, hieße den Interpreten Unrecht tun: zu viel harte Arbeit und Können steckt hinter dem, was das Budapester Keller-Quartett, aber auch der Klarinettist Eduard Brunner und der Pianist Péter Nagy an vier Abenden im Sendesaal von Radio Bremen vorführten. Kammermusikfest für Béla Bartók aus Anlaß des 50. Todestages hieß das kleine, exquisite Festival.

„Kein anderer Musiker unseres Jahrhunderts hat dessen Schrecken so offen ins Gesicht geblickt“ (Virgil Thomson): Der Trauergestus des sechsten Streichquartettes benennt in aller Deutlichkeit die biographische Situation Bartóks. Es ist sein letztes Werk vor seinem amerikanischen Exil (1939). Für die Interpretation gehen die Musiker des Keller-Quartettes nicht nur an die Grenze des spezifischen Instrumentalklanges, sondern überschreiten ihn. Sie verfügen über eine enorme Sicherheit, die visionären Klangvorstellungen Bartóks aus der Struktur heraus zu entwickeln. Selten ist es möglich, derart „fahle“ Klangfarben und peitschenden Rhythmen zu erleben. Kaum jemals ist ein nerviges Vibrato hörbar, auch das ergibt eine insistierende und bedrückende Klanglichkeit. Der Reichtum und die Diffenziertheit der Bogentechniken erlauben weitere Ausdrucksmöglichkeiten bis zu dem im wahrsten Sinne des Wortes „ersterbenden“ Schlußgesang.

Dasselbe gilt für die Wiedergabe des fünften Streichquartettes, hier ist vor allem auch bestechend die rhyhmische Nachdrücklichkeit und die Homogenität: Es ist überhaupt nicht beschreibbar, wie es András Keller, János Pilz, Zoltán Gál und Ottó Kertesz gelingt, komplizierte gemeinsame Einsätze in einer traumwandlerisch sicheren Übereinstimmung hinzukriegen. Wie sehr die sechs Streichquartette musikgeschichtlich überdimensionale Gattungsbeiträge sind, vergleichbar nur denen von Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven und Arnold Schönberg, wurde durch diese Aufführung geradezu schockierend deutlich.

Bartók entwickelt seine einzigartige Klanglichkeit aus dem Material der ungarischen Volksmusik: Das war weiter zu hören an der Sonate für Violine und Klavier aus dem Jahr 1922: Atemberaubend gestalteten Andrs Keller und Péter Nagy die bizarre Phantastik. Sternstunden der Interpretation: kongeniale Ehrung für einen der größten Komponisten nicht nur unseres Jahrhunderts.

Ute Schalz-Laurenze