: Es lebe die Langsamkeit
■ Insgesamt 16 Stunden lang sehen wir im Fernsehen vier Personen beim Fernsehen zu / Video-Projekt im Offenen Kanal
„Videoporträts machen sich auf die Suche nach dem Blick, der uns das Medium erklärt“. Sagt der Bremer Künstler Andreas Schimanski über sein Werk „Watch TV“. Das Medium ist der Fernseher, und der Blick ist der von vier jungen Leuten, die fernsehen, dabei jedoch unerbittlich von der zwischen Fernseher und Betrachter postierten Videokamera beobachtet werden.
Vier Stunden lang starren die Porträtierten – Freunde und Bekannte des Künstlers – nun auf den Fernsehschirm – und ins Wohnzimmer der Zuschauer des Offenen Kanals. Denn der sendet die Porträts in voller Länge, auf daß große Unruhe in der Fernsehgemeinde – um die 15.000 Zuschauer vermutet man beim Offenen Kanal – entstehe. Von „Provokation“ ist die Rede, von statischen Bildern, die „sich den Sehgewohnheiten verweigern“, gar vom „humanen Umgang mit dem Medium“. Jedenfalls, so will es Schimanski, 29, von Haus aus Architekt und Nutznießer der Sozialen Künstlerförderung Bremen, sind die Porträts keine voyeuristischen Annäherungen mit versteckter Kamera (“das ist Ödland für mich“), sondern regelrechte Inszenierungen.
Den vier (von 25 produzierten) im Offenen Kanal gezeigten Modellen verlangte Andreas Schimanski größte Konzentration ab: sich bewegen, weggucken oder gar aufstehen durften die Akteure nicht, allenfalls umschalten. Wobei wir mitten im Thema sind. Denn der immer wieder gern beschworenen Unfähigkeit des TV-Publikums, sich auf einen Beitrag länger zu konzentrieren, will Schimanski ein Gegengewicht entgegensetzen. Gleichsam ein Lob der Langsamkeit, eine Hommage an die Dauer. Eifrige Zapper werden so bald wieder mit dem unheimlichen Frauen- oder Männergesicht konfrontiert, das sie zuerst direkt anzustarren scheint, und dessen Blick dann doch ins Leere geht.
Nun ist die Idee, die schnellen, immer beliebigeren Bilderwelten zu unterlaufen nicht neu. Gleichwohl mag sich Schimanski etwa Andy Warhols mittlerweile klassisch zu nennenden vielstündigen Film nicht als Vorbild nehmen, dessen einzige Einstellung das New Yorker Empire State Building in wechselndem Licht zeigt. Und auch John Lennon experimentierte ausgiebig mit extremen Zeitraffer- und Zeitlupeneffekten. Andreas Schimanski, erster Förderpreisträger für Bildende Kunst, begreift das Medium als elektronischen „öffentlichen Raum“, adäquat zum realen Pendant. Das mag seinem Architekturstudium geschuldet sein. Doch der Vergleich zwischen einengenden sozialen Normen und Rollenverhalten im öffentlichen Raum und der Angst vor der Identitätsauflösung durch Multiplikation des eigenen Abbildes im virtuellen Raum ist legitim: „Die Aufnahmezeit war deshalb jeweils auf eine halbe Stunde begrenzt; danach wurden die halbstündigen Sequenzen zusammengeschnitten. Mehr konnte ich den Darstellern nicht zumuten.“ Der Offene Kanal macht ausdrücklich Bürgerradio und -fernsehen und zeigt bekanntlich alles. Unabhängig von Qualität und Inhalt, solange nicht geltendes Recht verletzt wird, wie OK-Chef Dirk Schwampe versichert. Welcher andere Sender würde auch an vier Donnerstagen zur „besten Sendezeit“ eine vier Stunden währende Einstellung eines Gesichtes zeigen? Bei der nur der gedämpft eingespielte Ton des Programms zu hören ist, das die Porträtierten sehen? Ein Ratespiel für den Zuschauer also, zu erahnen, welchem Film, welcher Show sie – mit ausdrucksloser, abwesender – Miene gerade folgen.
Eine Provokation? Für abgebrühte Mediennutzer – die große Mehrheit – wohl kaum. Eher schon ungewohnte Ablenkung und kurzes Innehalten – was nicht wenig ist. Schließlich ist Schimanski für jede Rückkopplung dankbar. Im übrigen haben weniger ambitionierte Versuche, im TV die Langsamkeit wiederzuentdecken, ungeahnte Einschaltquoten: Man denke nur an die Goldfische im Glas, die als Testbild Nacht für Nacht ihre Runden ziehen.
Alexander Musik
8.6., 15.6., 22.6., 29.6. jeweils 18 bis 22 Uhr und wiederholt freitags im Frühstücksfernsehen des O K
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen