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Das Herz eines Champions

Je länger die Play-offs der US-Basketball-Liga NBA dauern, desto zäher werden die Houston Rockets / Die Titelverteidigung ist keine Utopie mehr  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Die Pseudo-Favoriten auf die NBA-Meisterschaft haben sich schon vor geraumer Zeit verabschiedet, heute könnten ihnen die wahrhaften Top-Anwärter folgen. Die Chancen, die den Chicago Bulls vor dem Start der Play-offs plötzlich eingeräumt wurden, gründeten sich vor allem auf den Glauben, daß der zurückgekehrte Michael Jordan Wunder wirken könne. Dem war jedoch nicht so, wie sich spätestens in der mit 2:4 verlorenen Serie gegen Orlando Magic zeigte. Jordan spielte zwar meist gut, doch ihm fehlte das, was bei den drei Titelgewinnen der Chicago Bulls der entscheidende Faktor war: die geradezu magische Treffsicherheit in den letzten Sekunden einer auf der Kippe stehenden Partie. Immer wenn es eng wurde gegen Orlando, fielen Jordans Würfe nicht mehr in den Korb, statt dessen leistete er sich verheerende Ballverluste, besonders in der letzten Partie, als Orlando ein 94:102 binnen drei Minuten in ein 108:102 verwandelte.

Nachdem der Fall Jordan erledigt war, blieb eigentlich nur noch ein klarer Favorit übrig: die San Antonio Spurs, das dominierende Team der Saison, gleichermaßen stark in Abwehr und Angriff, angetrieben von dem seit Jahren besten Rebounder der NBA, Dennis Rodman, und dem „wertvollsten Spieler der Saison“, David Robinson. Nicht nur bei der Pizza-Werbung harmonierte dieses Duo hervorragend. Doch ausgerechnet in den Play-offs kam das perfekt ausbalancierte System der Spurs ins Kippeln. Mit 90:111 verloren sie auch ihr drittes Heimspiel der Halbfinalserie gegen die unverwüstlichen Houston Rockets, liegen in der Best-of-Seven-Serie mit 2:3 zurück und kämpfen heute im sechsten Spiel ums Überleben, wobei es nur ein schwacher Trost ist, daß das Match im Summit von Houston stattfindet, wo sie ihre beiden Siege landen konnten.

Auslöser der Misere war natürlich der exzentrische Dennis Rodman oder besser gesagt Coach Bob Hill, der es ausgerechnet in den Play-offs für angebracht hielt, dem Rebounder mit den farbenfrohen Haartrachten endlich Disziplin beizubringen. Zu Saisonbeginn hatte er Rodman nach diversen Eskapaden und Abwesenheiten einige Wochen suspendiert, und San Antonio spielte schlecht. Kaum war Rodman wieder da, begann die Siegesserie der Texaner, die erstaunlicherweise auch anhielt, als der 34jährige einige Wochen aussetzen mußte, nachdem er sich bei einem Motorradunfall die Schulter ausgekugelt hatte. Dadurch fühlte sich Hill offensichtlich ermutigt, sein Disziplinierungsprogramm wieder aufzunehmen, als sich die Nervenanspannung in den Play- offs bei Rodman auf gewohnt eigenartige Weise äußerte.

Wenn er spielte, holte er zwar zuverlässig seine Rebounds, wurde er ausgewechselt, zeigte er jedoch demonstratives Desinteresse: Er zog sich die Schuhe aus, plauderte mit Zuschauern, lehnte mit gelangweilter Miene an einer Werbebande, ohne dem Spiel zuzuschauen und, was Hill besonders aufbrachte, nahm nicht an den Teambesprechungen während der Auszeiten und Pausen teil. Statt dessen schaute er lieber den Cheerleaders beim Tanzen zu. Wenn die Mannschaft nach Siegen in der Kabine feierte, zog er sich zurück. „Diese Momente kommen und gehen so oft“, sagt er, „das ist der Grund, warum ich nicht in ihnen aufgehe.“ Was er tue, das tue er für die „anderen elf Typen“: „Sie leben dafür. Ich nicht.“

Bob Hill reagierte auf Rodmans Verhalten, indem er ihn zum Teil gar nicht, zum Teil nur wenige Minuten spielen ließ. Er bezahlte dafür mit dem Verlust der üblichen Rebound-Überlegenheit der Spurs, was diese sowohl gegen die Los Angeles Lakers als auch gegen Houston in Schwierigkeiten brachte. Bei der 93:94-Niederlage im ersten Spiel gegen die Rockets saß Rodman am Schluß draußen, Houston holte den entscheidenden Rebound. Das zweite Match verloren die Spurs glatt. Rodman spielte wenig, und David Robinson wunderte sich: „Er saß so lange draußen. Ich weiß nicht, warum. Eine Trainer-Entscheidung.“ Nach zwei – mit reichlich Rodman – gewonnenen Spielen durfte der Rebound-König, der just diese Woche das Cover von Sports Illustrated schmückt, beim 90:111 wieder nicht von Anfang an spielen, weil er zum Abschlußtraining zu spät gekommen war. „Es ist schade, weil Dennis ein wertvoller Mann für jedes Team ist“, meinte Bob Hill, „aber Disziplin muß sein.“

Den Houston Rockets, die gerade mit den Rebounds ihre Probleme haben, kann es nur recht sein. Der Titelverteidiger war lediglich als sechstbestes Team des Westens in die Play-offs gegangen und hatte lange mit Abstimmungsproblemen zu kämpfen, nachdem aus Portland Dream-Team-Mitglied Clyde Drexler im Tausch gegen Otis Thorpe gekommen war. Damit hat Houston zwar seine Defensive geschwächt, aber wesentlich mehr Möglichkeiten im Angriff. Vorher gab es nur Olajuwon oder einen Dreipunktewurf, mit dem kreativen Drexler ist alles möglich. Sowohl Olajuwon, der beim dritten Erfolg gegen San Antonio 42 Punkte schaffte, als auch Drexler liefen in den Play-offs zu Hochform auf, und die Rockets schickten relativ sensationell erst Utah (nach 0:2-Rückstand) und dann Phoenix (nach 1:3) in einen vorzeitigen Urlaub. „Wir haben das Herz eines Champions“, sagt Olajuwon – die Titelverteidigung in einem etwaigen Finale gegen Orlando oder Indiana (Stand: 2:2), vor Wochen noch pure Utopie, ist in greifbare Nähe gerückt.

David Robinson allerdings hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. „Sie sind menschlich“, glaubt der Center der San Antonio Spurs, „sie müssen es einfach sein.“

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