: „Grüne sind politische Legastheniker“
■ Handelskammer für Rot-schwarz und Straßen, Straßen, Straßen / Janz und DGB für Rot-Grün
Der 11.6. und somit die SPD-Entscheidung über den zukünftigen Kurs der Stadt rücken näher. Die Lager formieren ihre Truppen. Nachdem sich Hans Koschnick und Klaus Wedemeier für Rot-Schwarz ausgesprochen haben, ist ihnen jetzt ein starker Partner zur Seite gesprungen. Allerdings einer, dessen Position man schon hatte ahnen können: Handelskammer-Präses Josef Hattig hat sich gestern ohne Wenn und Aber für eine Große Koalition ausgesprochen. Doch auch die rot-grüne Seite hat Verstärkung bekommen. Am Mittwoch abend hat sich eine GewerschafterInnen-Versammlung im DGB-Haus für ein Bündnis von SPD und Grünen ausgesprochen (s.S.18). Ebenfalls gestern hat sich die Bremerhavener SPD-Bundestagsabgeordnete Ilse Janz gemeldet – mit dem Plädoyer für Rot-grün. Das paßt zu einem Apell der beiden Grünen Ralf Fücks und Martin Thomas. Die hatten nämlich gestern gefordert, „daß die Befürworter einer Reformkoalition in der SPD aus ihrer Deckung kommen“.
„Eine tödliche Gefahr“ sei die rot-grüne Koalition für Bremen sicher nicht, befand Ilse Janz – und kommentierte damit ziemlich deutlich Äußerungen von Hans Koschnick. Der hatte nämlich bei seinem Heimaturlaub aus Mostar genau das gesagt. Und der Bremer SPD-Parteiführung gleich noch eins vors Schienbein gegeben: Die Vorauswahl der KandidatInnen sei „eine Provinzposse“ gewesen. Ilse Janz dagegen setzt ganz auf das Bekenntnis der Grünen zum Sanierungsprogramm. Damit müßten sich auch die Klippen Stadtwerke-Verkauf und Hemelinger Marsch umschiffen lassen. Zudem habe gerade die CDU den Gang Bremens zum Bundesverfassungsgericht, in dem die Bonner Finanzspritze entschieden worden ist, immer abgelehnt.
Auch bei den Grünen hatten die klaren Worte Koschnicks Aufregung verursacht. Der Altbürgermeister setze „die vorsintflutliche Angstkampagne von AfB und CDU gegen Rot-grün fort“, meinten Fücks und Thomas. Es gehe nicht um Rettung oder Untergang Bremens, sondern um die Frage, welche Koalition Sanierung und Demokratie miteinander verbinden kann.
Das sieht die Handelskammer ganz anders. Es gehe tatsächlich um das Bremer Überleben, meinte gestern der Kammer-Präses Hattig, um gleich auch seine dringende Empfehlung abzugeben: „Rot-schwarz, bzw. Schwarz-rot“. Das Programm für den neuen Senat sei ebenfalls vollkommen klar: Investieren, Investieren, Investieren. Und zwar für Straßen, Straßen, Straßen.
Denn genau daran mangele es Bremen, meint die Kammer. Wegen der „infrastrukturellen Defizite“ und schlechten Bedingungen für die Wirtschaftsverkehre siedelten sich in Bremen keine neuen Betriebe an. Dem könne man nur mit massiven Investitionen begegnen. Zusammen mit Bonner Mitteln aus dem Bundesverkehrswegeplan stünden Bremen insgesamt 12 Milliarden Mark für Investitionen zur Verfügung. Und die sollten „zum größten Teil“ in Asphalt umgesetzt werden. Hattig: „Man muß es nur wollen.“ Mit der bisherigen Wirtschaftsförderung ist die Kammer wunschlos glücklich: „Die Programme reichen völlig aus.“
Neben dem Straßenbau soll der künftige Senat vor allem anderen noch eines tun: innenstadtnahe Baugebiete ausweisen, damit die HäuslebauerInnen nicht ins Umland abwandern. Und Flächen hat sich die Kammer dafür auch schon ausgeguckt, nämlich die Kleingartengebiete. Kammer-Syndikus Immermann: „Die Kleingärtner können gut nach Huchting oder anderswo fahren.“
Besonders schlecht kamen bei der Kammer-Beurteilung zur Lage der Stadt, wen wunderts, die Grünen weg. Sie scheinen in Hattigs Augen die ganze Verantwortung für die Agonie der Ampel zu tragen. Und von Wirtschaft verstünden sie außerdem nichts: „Wenn die Grünen sagen, das Sanierungsprogramm müßte noch einmal neu buchstabiert werden – das Sanierungsprogramm ist politisch lesbar! Wer das nicht lesen kann, ist ein politischer Legastheniker.“
J.G.
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