: Wie die Briten Verantwortung tragen
■ Major will die britischen Geiseln retten, Bosnien interessiert ihn weniger
Es war die erste Sondersitzung des britischen Parlaments zu einem Truppeneinsatz in Übersee seit dem Falkland-Krieg 1982, und entsprechend hoch schlugen die Emotionen. „Ich gehe nicht auf solchen erpresserischen Handel ein!“ rief Premierminister John Major am Mittwoch abend, wies damit das Angebot der bosnischen Serben zur Freilassung ihrer 33 britischen Gefangenen im Gegenzug für eine Nichtangriffsgarantie zurück und erntete grölende Zustimmung. Und ein Gegenredner rief: „Die Frage ist: Sind Sie bereit, in den Krieg zu ziehen? Und die Antwort ist: Nein!“
Nun war der Gegenredner aber kein Oppositionsführer, sondern der konservative Ex-Premier Sir Edward Heath. Und er richtete seine Frage nicht an Major, sondern an Labour-Führer Tony Blair, der die Verstärkung der UNO-Truppen in Bosnien forderte, und an den Liberalen-Chef und Falkland-Veteran Paddy Ashdown, der gleich ein neues UN- Mandat wünschte.
Längst hat sich in London eine heimliche große Koalition gebildet: „Die Frage ist nicht, ob wir Verantwortung haben, sondern wie wir sie tragen“, sagt Tony Blair – John Major spricht von der „moralischen Verantwortung“, die Großbritannien, „wenn Sie so wollen“, in Bosnien habe. Beim rechten Tory-Flügel, der gegen Europa und gegen innenpolitische Reformen streitet, triumphiert dagegen ein enger Nationalismus, der sich mangels eines imperialen Mantels auf Abschottung in jedem Sinne beschränkt. Mit Ausnahme von Margaret Thatcher will die Rechte mit Bosnien nichts zu tun haben. „Was denn an Bosnien so speziell ist“, daß man dafür britisches Geld ausgeben und britisches Blut vergießen solle, wollte der Rechtsaußen-Abgeordnete Teddy Taylor wissen, und vor Tagen schon meinte die Konservative Teresa Gorman: „Unsere Soldaten haben sich nicht zur Armee gemeldet, um für ein Land zu sterben, das mit uns nichts zu tun hat.“
Das erinnert an den britischen Appeasement-Premier der dreißiger Jahre, Neville Chamberlain, der 1938 die Tschechoslowakei abschrieb als „fernes Land, von dem wir nichts wissen“. Er regierte in einer Zeit, als in London Osteuropa hauptsächlich als Chiffre für exotische Wildheit und verrückte Könige galt und als große Teile des Establishments, bis hinein ins Königshaus, Hitler als potentiellen Freund betrachteten. Erst nach der deutschen Besetzung Frankreichs 1940, die auch eine britische Niederlage war, gewann die zum Kampf gegen den Faschismus entschlossene Fraktion um Winston Churchill die Oberhand.
Dieses Grundmuster prägt auch die heutige Bosnien-Debatte. Denn auch den Befürwortern eines stärkeren Eingreifens heute geht es vor allem um das Schicksal der festgehaltenen Briten, das Major zu einem „vitalen nationalen Interesse“ erklärt hat. Die Rettung Bosniens ist nicht Teil ihres Programms – schließlich haben britische Diplomaten wie Lord Carrington und Lord Owen am eifrigsten die ethnische Aufteilung Bosniens betrieben. Dennoch sind sich alle bewußt, daß Großbritannien jetzt die, so Ex-Premier Callaghan, „schiefe Bahn“ hin zu einer Kampfbeteiligung betreten haben könnte. Während die innenpolitischen Fronten bereits festgefügt sind, steht dieser wahre Test erst noch bevor. Dominic Johnson
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