: Und wieder geht die Luzie ab
In Berlin feierten zu Pfingsten 1.400 Mädchen ihr jugendliches Happening mit Tanz, Puppen und Selbstverteidigung / Nur Bundesfrauenministerin Claudia Nolte fehlte auf der Mädiale 95 ■ Von G. Schulz
Berlin (taz) – Luzie aus Lingen ist eine knallharte Kämpferin. Halbhohe rote Stoffturnschuhe und knallenge schwarze Jeans – das klassische Autonomen-Outfit. Luzie aus Frankfurt erinnert mit den roten Zöpfen an Pippi Langstrumpf. Eine Luzie sitzt im Rollstuhl, eine andere präsentiert sich im Hexen-Look. Keine Luzie ist wie die andere, aber alle sind selbstgebastelt.
Mädchen aus allen Teilen der Republik haben die Puppen am Wochenende nach Berlin geschleppt. Die kunstvollen Ladies sind die inoffiziellen Schirmfrauen der „Mädiale 95“. Offiziell haben Regine Hildebrandt und Christine Bergmann, beide SPD-Ministerinnen, das Amt übernommen. „Ab geht die Luzie“, hieß das Motto des dritten bundesweiten Mädchentreffens, das nach München (1991) und Köln (1993) diesmal in Berlin stattfand.
Mehr als 1.400 Mädchen zwischen acht und zwanzig suchten in der Berliner Kulturbrauerei ihren spezifisch weiblichen Spaß. „Alle Mädchen, die an dem Workshop Selbstbehauptung und Selbstverteidigung teilnehmen wollen, sollen jetzt zum Infostand kommen“, tönt am Sonntagmorgen eine Megaphonansage über den Hof. Zwölf Interessierte zwischen acht und fünfzehn wollen lernen, daß sie stark und wehrhaft sind. In einer Hofecke malen andere Mädchen mit Wasserfarben einen Regenbogen für ein Friedenstransparent. Einige Unentschlossene blättern noch im Programmheft. Gute 36 Seiten füllt das Nonstop-Programm für das viertägige bundesweite Mädchentreffen.
Mehr als 60 Workshops werden angeboten: Bauchtanz, Akrobatik, HipHop, Schlagzeugspielen, Phantasiereisen zu den Kulturen der Welt oder einfach quer durch Berlin; der Phantasie und Unternehmungslust sind keine Grenzen gesetzt. Wer selbst gerade nicht aktiv sein will, kann sich eine der zahlreichen Theater- oder Tanzvorführungen anschauen oder in der „Luzie-Ausstellung“ einen kleinen Querschnitt des bunten Treibens kennenlernen.
Die Schlagworte „feministisch und interkulturell“ steckten den Rahmen des Festivals ab. 15 Monate hat der Verein „Feministische interkulturelle Mädchenarbeit“, ein Zusammenschluß von Pädagoginnen aus Berliner Mädchenprojekten, gearbeitet, um das Programm zu organisieren. Die Besucherinnen sind aus dem gesamten Bundesgebiet angereist.
Die zwölfjährige Stephanie ist mit ihrer Mädchengruppe aus Sangerhausen bei Halle gekommen. „Am besten hat mir die Tanzvorführung ,Begegnungen‘ gefallen“, erzählt sie. Klar, da hat sie nämlich selber mitgemacht. „Über Ostern waren wir schon mal hier und haben zusammen mit den Berlinerinnen geübt. Das ist toll, daß wir die Mädchen aus Berlin kennengelernt haben“, findet sie. Die Idee, daß Mädchen überregionale Kontakte knüpfen können, wird von den Teilnehmerinnen also aufgegriffen. Und auch der Begriff „interkulturell“ wird von den Mädchen mit Leben gefüllt. „Auf dem Hof haben wir gestern abend spontan türkische und iranische Tänze vorgeführt, bei denen sich ganz viele Mädchen angeschlossen haben“, erzählt Ipek, die einen Workshop zur türkischen Kultur angeboten hat.
Aber nicht alle, die wollten, konnten auch kommen, stellt Inge Hennig vom Organisatorinnen- Komitee mit Bedauern fest. „Wir hatten beim Bundesministerium für Frauen und Jugend finanzielle Unterstützung für Unterkunft und Verpflegung beantragt, die wir nicht bekommen haben. Fast 500 Teilnehmerinnen aus dem Bundesgebiet haben sich deshalb wieder abgemeldet. Die können sich das einfach nicht leisten.“
Nicht nur wegen der fehlenden finanziellen Unterstützung sind bei der Mädiale einige schlecht auf die Frauen- und Jugendministerin zu sprechen. „Die nimmt uns überhaupt nicht ernst“, schimpft Gülda vom Kreuzberger Mädchentreff über Claudia Nolte. Die Ministerin war zu einer Podiumsdiskussion über Mädchenwünsche an Politikerinnen eingeladen worden und hatte abgesagt. „Und unsere ganzen Fragen zum Paragraphen 218, die wir ihr zugeschickt haben, hat sie nicht beantwortet“, ärgert sich Gülda.
Bei den Fragen waren die Kreuzbergerinnen nicht zimperlich gewesen. Ob Frau Nolte schon einmal Angst gehabt hätte, schwanger zu werden, wollten sie wissen. Das wird weiterhin ein gut gehütetes Geheimnis der Ministerin bleiben.
So saßen auf dem Podium neben den Mädchen lediglich eine türkische Regisseurin und Barbara John (CDU), Ausländerbeauftragte des Berliner Senats. Das Fazit der Organisatorinnen fiel dementsprechend nüchtern aus: „Es war schon ganz nett mit der John, aber bewirken kann die doch gar nichts.“
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