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Das Alte Testament vertanzen

■ Im Dom: Zu Bachs Orgelmusik wagen sich drei Bremer TänzerInnen an die unterschiedlichsten Tanztraditionen: Butoh-Tanz, klassisches Ballett und „Neuen Tanz“

Eigentlich ist donnerstags um 19 Uhr. immer Dom-Motette. Dann laden kleine Chor- und Orgelkonzerte zur Besinnung nach dem Stadtbummel ein. Doch heute abend ist alles anders: Drei Bremer TänzerInnen tanzen und improvisieren vor dem Altar zu Musik von Johann Sebastian Bach und Petr Eben. In einem Gespräch erläuterten sie den Hintergrund für dieses ungewohnte Programm. Johanna Hegenscheidt, Birgit Freitag und Helge Löschmann kommen aus verschiedenen Tanztraditionen. Sie verbindet die Zugehörigkeit zum „Neuen Tanz“, der ein breites Feld von Bewegungs- und Tanzströmungen der letzten Jahrzehnte in Europa und Amerika zusammenfaßt. Für Helge Löschmann bedeutet Tanzen „Forschen und Entdecken, nach innen und nach außen“.Auch will man in Bezug treten zu den Menschen, dem Raum und den Materialien. Denn : „Die Körpersprache ist viel nuancierter und prägnanter als Worte.“ Johanna Hegenscheidt, die gerade von einer zweijährigen Tanzausbildung aus New York zurückkommt, fragt sich, wie „der Körper ohne ästhetische Vorgabe funktioniert“ und Birgit Weishaupt will „Ideen vermitteln, innere Zustände in Bilder umsetzen“.

Alle drei sind sich einig, daß das traditionelle Ballett festgelegte Ausdrucksgesten hat – „die soll man gar nicht verteufeln, da kann man ganz viel lernen“ (Birgit Freitag). Hier solle es aber darum gehen, einen ganz eigenen Ausdruck und die entsprechende Bewegung zu finden: Vorbild dafür ist der japanische Butoh-Tanz. Zu dritt improvisieren sie im Dom zu der großen Passacaglia in c-Moll von Johann Sebastian Bach, jenem außergewöhnlichen Werk, das über einem Baßthema 22 Variationen entfaltet. Dies zu vertanzen sei „eine unglaubliche tänzerische Herausforderung“. Laut Helge Löschmann ist da „ganz wenig festgelegt, es wird ein großes Abenteuer“.

Festgelegt hingegen sind die Themen und die schon dazu komponierte Musik. Der Tscheche Petr Eben vertonte „Vier biblische Tänze“. Die Vorlage: das Alte Testament. Zuerst erklingt „Davids Tanz vor der Bundeslade“. Für Helge Löschmann gibt es da vier Ebenen der Auseinandersetzung: „erstens die historische Figur, zweitens die schon in der Musik vorhandene Interpretation, drittens meine eigene Position zum Thema und viertens die Aufführungssituation in der Kirche“. Für den Tänzer ist der David „religiös und machtbesessen, einer, der schon was mit Gott zu tun haben will, aber nicht ganz moralisch ist. Er schlägt auch mal über die Stränge und das Wichtigste: Gott steht hinter ihm“. Die Musik von Eben , gegen die er aber auch manchmal vorgeht, ist für ihn „Leitfaden und Kommentar“.

Johanna Hegenscheidt hört sich unzählige Male die Musik an, ehe sie zu improvisieren anfängt: Ihr Thema ist an diesem Abend die Shulamit aus dem „Hohelied“: „Darzustellen ist der Konflikt zwischen Traum und Wirklichkeit; das ist auch total spannend für mich, weil Eigenes da hineinkommt, meine Träume zum Beispiel.“ Und Birgit Weishaupt gestaltet Jephtas Tochter, jenes Mädchen aus dem Alten Testament, das den eigenen möglichen Tod in Kauf nimmt, weil der Vater die Tochter Gott als Opfer versprochen hat. Den Konflikt will sie deutlich machen, auch die Verzweiflung. Für alle drei ist diese Art von Tanz immer auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, in diesem Fall auch der Beziehung zur Kirche: „Aber das ist keine Behinderung, das ist Verantwortung, Respekt“, sagt Johanna Hegenscheidt.

Ute Schalz-Laurenze

Heute abend um 19 Uhr im Bremer Dom: Orgelmusik und Tanz. Es tanzen Helge Löschmann, Johanna Hegenscheidt und Birgit Weishaupt, Orgel: Wolfgang Baumgratz.

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