■ Die „guten Dienste“ Rußlands und Griechenlands: Falschspieler
Rußland hat Einfluß auf Serbiens Präsident Milošević und könnte ihn zu einer Friedenslösung drängen, zur Aufgabe großserbischer Pläne und zur Anerkennung Bosniens und Kroatiens. Auf diese Annahme stützt sich die Balkanpolitik Westeuropas und der USA, spätestens seit im Mai 1993 der Vance- Owen-Plan für Bosnien am serbischen Veto scheiterte. Milošević wird vom Westen eine ähnliche Einflußmöglichkeit auf den bosnischen Serbenchef Karadžić zugeschrieben. Seit er im August 94 angeblich den Bruch mit dem Paler Konkurrenten um die Führung aller Serben vollzog, gilt der Belgrader Drahtzieher der Kriege in Exjugoslawien in den Hauptstädten des Westens sogar als wichtigster Partner für eine Friedenslösung. Und auf Griechenland richten sich westliche Hoffnungen, es habe wegen seiner traditionellen Bindungen zu den Serben ebenfalls positive Einwirkungsmöglichkeiten.
Die Ereignisse der letzten Tage scheinen die westlichen Annahmen über den Einfluß Moskaus, Belgrads und Athens zu bestätigen. Nach einem Gespräch russischer Diplomaten mit Milošević ließen die Karadžić-Serben am Samstag zunächst 120 ihrer Blauhelm- Geiseln frei. Und dem Besuch zweier griechischer Minister in Pale und Belgrad folgte am Dienstag die Abschiebung weiterer 100 Geiseln nach Serbien. Die russischen Emissäre überbrachten dabei die von Karadžić verlangte Zusicherung wichtiger Nato-Regierungen sowie des Unprofor-Kommandos, daß vorerst nicht mit weiteren Luftangriffen gegen bosnisch-serbische Ziele zu rechnen sei. Ein Zusicherung, zur der sich UNO und Nato offiziell „nicht erpressen lassen“ wollten.
Ein abgekartetes Spiel. Was herauskommt, ist bestenfalls die Wiederherstellung des Status quo vor der eskalierten Situation – also im aktuellen Fall die Situation am Tag vor den Nato-Luftangriffen vom 25. Mai mit der nachfolgenden Geiselnahme. Ähnliche Szenarien gab es in den letzten drei Jahren mehrfach, zum Beispiel als die Karadžić-Serben im Frühjahr 1994 ihre unter der Drohung von Nato-Luftangriffen erfolgte Entscheidung zum Rückzug schwerer Waffen aus Sarajevo als Ergebnis von Verhandlungen mit russischen Diplomaten präsentierten.
In erster Linie dienen diese Manöver dem Interesse der Regierungen in Moskau, Belgrad und Athen, vor der Weltöffentlichkeit eine konstruktive Rolle zu demonstrieren und das eigene Gewicht gegenüber dem Westen zu erhöhen. Die sich abzeichnende neue Balkanpolitik der Regierung Jelzin setzt zwar auf die Einverleibung (Groß-)Serbiens in den Einflußbereich Rußlands, zumal, wenn die Nato ostmitteleuropäische Staaten aufnehmen sollte. Zugleich aber soll das Verhältnis Moskaus zum Westen nicht zu sehr belastet werden. Milošević wird durch seine angeblichen Vermittlerdienste aufgewertet und gestärkt. Prompt stellte er jetzt neue Vorbedingungen für die Anerkennung Bosnien-Herzegowinas. Griechenland hofft, daß eine „konstruktive Rolle“ im Bosnienkonflikt von westlichen Regierungen honoriert wird durch Unterstützung in den Konflikten mit der Türkei und mit Mazedonien.
Solange der Westen gute Miene zu diesen betrügerischen Spielchen macht, ist eine Lösung des Balkankonflikts nicht in Sicht. Andreas Zumach
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