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Schöne neue Welt der Floskeln

■ betr.: „Bremser und Blockierer“ von Mechtild Jansen, taz vom 30. 5. 95

Die in der SPD laufenden Diskussionen um Konzepte über (kommunal, regional, staatlich und supranational legislativ gesetzte) Rahmenbedingungen für eine sowohl sozial gerechte als auch individuell freiheitliche und insgesamt umweltverträgliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung haben zwar vielleicht noch nicht den „großen Konsenswurf“ erbracht, sind aber allemal lebhafter und (zwischen)ergebnisreicher, als es das Schlagwort von der Partei, die angeblich „alle kreativen, abweichenden Kräfte aus ihrer Umgebung vertreibt“ suggeriert.

Was Mechtild Jansen als „herumrudern zwischen CDU, Traditions-SPD, altlinker Nostalgie und besserwisserischer Grün-Attitüde“ verspottet, sind notwendige Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Interessenschwerpunkten beziehungsweise -prioritäten, die es selbstverständlich auch bei gemeinsamer allgemeiner Wert- und Zielorientierung gibt. Zoff gibt es – gerade wegen Landesregierungen und Bundesratsmehrheit um (konkrete und aktuelle, zum Teil aber zukünftige Optionen bestimmende) Entscheidungen in Sachen Verwaltungsreform, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, Umgang mit öffentlichen Haushaltsdefiziten, Umwelt-, Verkehrs- und Energiepolitik... Und dieser Zoff ist notwendig: Frau kann nicht einerseits lässig über fortschreitende Differenzierung der Gesellschaft plaudern und andererseits gleichzeitig davon ausgehen, einzelne müßten nur das Konzept aus der Tasche zaubern, daß dann eine (von der SPD irgendwie zu beschaffende?) gesellschaftliche Mehrheit schon abnicken wird. Wer so paradox argumentiert, hat entweder selbst die „soziale und politische Entwicklung der letzten 20 Jahre“ verschlafen. Oder wenig praktische Ahnung von der Differenzierung, zum Beispiel davon, wie schwierig Solidarität zwischen Erwerbstätigen in mehr oder weniger gesicherten und mehr oder weniger existenzsichernd entlohnten Erwerbsverhältnissen, RentnerInnen, Erwerbslosen und SozialhilfeempfängerInnen zu organisieren ist.

Apropos Konzept: Auch berechtigte Kritik am bedächtigen (weil demokratischen?) Tempo, mit dem sich die SPD neuen Bedingungen und Fragen nähert, wird dann ärgerlich, wenn sie nicht ein paar alternative Vorschläge beinhaltet. Statt dessen die schöne neue Welt der Floskeln: Wer (besser: welche Arroganz) verbirgt sich hinter der Typisierung mit hie „kleinen Leuten“ und sozialen Verlierer(Inne)n“ und da „dank Bildung und Sozialstatus ... sich selbst organisierenden Citizens, die Erwerbsarbeit finden oder auch lassen können“? Hat da eine noch (womöglich schmerzlich) zu lernen, daß zum Beispiel Alter oder Krankheit oder Behinderung (oder auch nur Gebärfähigkeit) „Bildung und Sozialstatus“ ganz schnell relativieren können? Daß manche aktuelle „VerliererInnen“ bis kurz vor der „Niederlage“ in Treue fest auf Möllemann und Seehofer geschworen hätten, daß sie zu den vielbesungenen innovativen LeistungsträgerInnen gehören, die unter den gegenwärtigen Bedingungen von den Schwächeren ausgebeutet werden. [...]

Auch die „selbstbewußten, eigenständigen WirtschaftsbürgerInnen, mit individualisierten und gesellschaftlichen Mitgestaltungsrechten“ klingen nur nett und modern – ausgesagt ist damit nix. Da könnte allerlei Unerquickliches gemeint sein: Zahlreiche, aufrecht miteinander konkurrierende SubunternehmerInnen, die keine Karenztage- oder Erziehungsurlaubsdebatte brauchen, weil sie nur bei just-in-time-Bedarf bezahlt arbeiten und grundsätzlich nach Auftragserfüllung statt nach Zeit entlohnt werden. Oder geht es umgekehrt um viele kleine mini- Schrempps, die montags über das Ausmaß der Rüstungsproduktion bei Daimler-Benz abstimmen und freitags die Gentechnologieanwendung deregulieren, weil's der Export- und (Schwankungen an den Finanzmärkten?) Profitrate nützt?

Im „für alle offenen Zugang zur Wohlstandserwirtschaftung und zur gesellschaftlichen Mitgestaltung“ treffen sich soziale Gerechtigkeit und ökonomische Innovationsfähigkeit“ mit der Phrasendreschmaschine. Derweil die Grenzen Schengen-dicht bleiben, weil zuviel zivilgesellschaftliche Offenheit zu viele „selbstbewußte, eigenständige WirtschaftsbürgerInnen“ einwandern ließe, die nicht nur ihren Anteil an der Wohlstandserwirtschaftung (à la Hyundai), sondern auch am Wohlstand wollen würden.

Auch die „zivile Konfliktregelung jenseits von Tarifritualen“ läßt mich eher um das Streikrecht beziehungsweise die organisatorische Streik- und Boykottfähigkeit fürchten als daß mir klar würde, wie ich geschickter mit einer Mehrheit in meiner Gewerkschaft, die sich in Tarifverhandlungen um befristete Arbeitsverhältnisse eher nachrangig sorgt, umgehen könnte. Zivilgesellschaftlich. [...] Janine Millington-Herrmann,

Karlsruhe

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