■ Heute wird der Bundesfilmpreis verliehen
: Seien Sie neugierig!

Jetzt wird gefeiert: Heute abend, live zur Primetime übertragen, wird der Bundesfilmpreis vergeben, aus gegebenem Anlaß (100 Jahre Kino) mit großer Gala. Ein Hoffnungsschimmer reißt pünktlich die Wolken auf: zwei Filme (von Sönke Wortmann und Doris Dörrie) bescherten dem deutschen Kino einen weit über dem Durchschnitt liegenden Marktanteil. Auch darum geht es schließich beim Bundesfilmpreis: eine Prämie von 900.000 Mark muß man sich eben möglichst mit kommerziellem Erfolg verdient haben.

Im Augenblick bietet sich eine Chance, die noch keiner realisiert hat. Amerikanischen Filme sind schlechter geworden. Noch nicht gemerkt? Seit etwa zwei Jahren stagniert dort auf seltsame Weise die Phantasie, und zwar vor allem in den großen Studios. Das war bis vor kurzem noch ganz anders; da waren Ausnahmen wie „Silence of the Lambs“ oder „Falling Down“ die Regel. Skandalös, wenn heute Formel- Schrott wie „Terminal Velocity“ in drei Tagen mehr Besucher anzieht als „Die Sieger“ in drei Monaten.

In das freigewordene Mittelfeld müßten jetzt europäische Filme stürzen. Viel ist da leider noch nicht: Wenders' privatester und undogmatischster Film seit langem profitiert davon, vielleicht auch „Die Mediocren“: besser als nichts, aber noch zu wenig.

Es liegt am Mißtrauen des Publikums: in Regisseure, deren Gefallsucht und Ängstlichkeit sie zu unentschlossen werden läßt; in Autoren, für die der zweite Entwurf eines Drehbuchs schon die entgültige Drehfassung darstellt (weil die nächsten zwei Serien auf sie warten), in Produzenten, die immer nur die eine Formel suchen. Panisch erwarten alle nun das nächste Dutzend „Der bewegte Mann“-Imitationen (so wie „Abgeschminkt“ eine öde Welle von Nachahmern fand). Setzen: sechs! Wir haben immer noch nicht kapiert, daß das Geheimnis dieser Filme eben nur in zweiter Linie am Thema liegt, und in erster Linie daran, daß sie Authentizität ausstrahlen.

Das Feld der Furchtlosen ist winzig, und der einzige unter uns, dem es gelingt, persönlich, radikal und absolut originell zu sein, und dessen Filme obendrein auch noch gesehen werden, ist Detlev Buck. Auch Filmemacher wie Christoph Schlingensief, Romuald Karmakar oder Sönke Wortmann sind, auf jeweils unterschiedliche Art, eine eigene und rsisikobereite Vision zu finden, und sie sind nicht die einzigen.

Hauen Sie mir meinen nächsten Film um die Ohren, wenn Sie ihn unentschlossen oder unriskant finden. Aber seien Sie gefälligst auch neugierig, denn einfach nur gemütlich muß es doch nicht sein, wenn man sich einer fremden Phantasie ausliefert. Tom Tykwer

Der Autor ist selbst Filmemacher („Die tödliche Maria“) und hat sich mit anderen deutschen Jungregisseuren zur Produktionsgesellschaft „X-Filme“ zusammengeschlossen.