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Letzte Zuflucht vor der Härte des Lebens

Auf dem Areal des algerischen Präsidentenpalastes ist ein selbstverwaltetes Frauenhaus entstanden  ■ Aus Algier Kadir Bouabied

„Bobo tata bobo“, versucht mir die zweijährige Hudda etwas zu erklären. Als sie merkt, daß ich diese Sprache nicht verstehe, greift sie nach meiner Hand. Mit noch unsicheren Schritten führt mich die junge Algerierin zu einer kleinen Villa. Im Inneren zeigt sie mir einen etwa 20 Quadratmeter großen Saal. Darin stehen drei zweistöckige Betten, daneben zwei kleine Kinderbetten sowie ein alter, aber frischgestrichener Kleiderschrank. Auf dem Boden zahlreiche prallgefüllte Plastiktüten. Sie beinhalten die wenigen Habseligkeiten der Bewohnerinnen des Hauses. In dem Gebäude leben Frauen und ihre Kinder, die es zu Hause nicht mehr ausgehalten haben. „SOS Femmes en détresse“ (SOS Frauen in Not) heißt das aus zwei Häusern bestehende Zentrum.

„Bobo, bibi!“ Hudda zeigt auf ein an die Wand geheftetes Poster, von dem ein gutgenährtes, blondes, hellhäutiges Kind lächelt. Mit einem lauten Schmatz drückt Hudda einen Kuß auf das Bild. „Das Kind ist Huddas beste Freundin“, sagt lachend Khalida, Huddas Mutter. Hudda war zwei Monate alt, als sie mit ihrer Mutter in das Zentrum kam, um – wie es Khalida ausdrückt – „Zuflucht vor der Härte des Lebens“ zu finden. Mit 12 anderen Kindern und 25 Frauen lebt sie in der Einrichtung.

„Die Idee zur Gründung dieses Zentrums kam uns vor drei Jahren“, erklärt die Leiterin, Frau Belkadi. „Wir wollten etwas für die unterdrückten Frauen in Algier machen.“ Die Initiative sei von engagierten Frauen, Anwälten und Ärzten ausgegangen. Unterstützt werde das Zentrum von Dutzenden ehrenamtlichen MitarbeiterInnen. „Ein Maler bringt den Kindern zeichnen bei, und eine Schneiderin zeigt den Frauen, wie man näht“, erklärt Belkadi. Hinzu kämen Ärzte und Rechtsanwälte, die bereit seien, den Frauen und Kindern zu helfen.

„Die meisten Frauen kommen zu uns und haben nur, was sie am Leib tragen“, erklärt die Leiterin. „Sie brauchen alles, von Bekleidung bis zu psychiatrischer Behandlung.“ Zwar werde das Zentrum vom Staat unterstützt, jedoch reiche das Geld nur, um ein Drittel der Kosten zu decken. Der Rest werde mit Spenden finanziert.

Immerhin ist es den Initiatoren des Zentrums gelungen, von der algerischen Regierung eine Bleibe zur Verfügung gestellt zu bekommen. Die zwei Villen gehören zum Areal des „Palais de Peuple“, der Residenz des algerischen Regierungschefs. Der Palast ist von einem Park umgeben, in dem mehrere Gebäude, verschiedene Freizeiteinrichtungen ein Kulturzentrum und mehrere „Kinderpaläste“ angelegt sind. Das Areal wurde eingerichtet, als Algerien noch offiziell sozialistisch war. Es sollte den Eindruck erwecken, daß der Regierungspalast dem Volk gehöre. In der Realität lebten in den zahlreichen Gebäuden aber nicht etwa einfache Bürger, sondern Angehörige des Regimes. Heute, nach dem Ende der Herrschaft der ehemaligen Einheitspartei FLN, hat der algerische Regierungschef andere Nachbarn. In den meisten Gebäuden leben Familien von Militärs. Sie sind aus ihren eigentlichen Wohnungen geflohen, weil sie fürchten, dort von Islamisten umgebracht zu werden.

„Ich fühle mich jetzt viel stärker und träume davon, ein neues Leben zu beginnen“, erzählt Khalida und erinnert sich an ihre Lage, als sie in das Zentrum kam. „Ich war total ruiniert. Nach 15 Jahren Ehe hatte sich mein Mann von mir scheiden lassen.“ Ihr Ehemann sei Alkoholiker gewesen und habe sie wegen einer anderen verlassen. „Er hat die Frau mehrmals zu uns nach Hause gebracht und sich mit ihr betrunken. Als ich dagegen protestiert habe, hat er mich geschlagen“, erzählt Khalida. Daraufhin habe sie ihre jüngste Tochter genommen und sei mit ihr zu ihren Eltern geflohen. Die beiden älteren Kinder habe sie dem Vater zurücklassen müssen. „Bei meinen Eltern konnte ich nicht bleiben. Sie leben schon mit meinen Geschwistern und deren Familien auf engstem Raum. Dreizehn Personen teilen sich drei Zimmer.“ Außerdem hätten ihre Eltern sie überreden wollen, zu ihrem Mann zurückzukehren. „Das wollte ich auf keinen Fall.“ Khalida träumte davon, eine Arbeit zu finden und selbst für sich und ihr Kind aufzukommen. Weil sie nie zur Schule gegangen ist, waren ihre Aussichten auf einen lukrativen Job jedoch gering. Zudem ist es im islamischen Algerien praktisch ausgeschlossen, als alleinerziehende Mutter zu leben.

Es ist Zeit zum Mittagessen. Die Frauen und ihre Kinder setzen sich an einen langen Tisch und verzehren Linsensuppe und weiße Bohnen mit Tomatensoße. Einige der Frauen scherzen miteinander, andere kauen lustlos und starren ins Leere. „Sie alle sind Opfer der Traditionen unserer Gesellschaft, von Diskriminierung und Gewalt“, sagt die Sozialarbeiterin Louisa, „jede hat ihre eigene traurige Geschichte.“ Auf das Schicksal eines hochschwangeren Mädchens angesprochen, erzählt sie: „Ein Mann hat sie sitzenlassen.“ Zu Hause konnte die 17jährige nicht bleiben. Ihre Eltern drohten, sie wegen der „Schande“ zu ermorden.

Auch Saida mußte vor ihren Eltern flüchten. Ihr erster Mann, der gleichzeitig ihr Cousin war, habe sich von ihr scheiden lassen, erzählt sie. Daraufhin habe ihr Vater sie gezwungen, einen Prediger zu heiraten, der 40 Jahre älter war als sie. „Das Leben in der Hölle wäre angenehmer gewesen als das Leben mit meinem Mann“, erinnert sich Saida. Beleidigungen und Mißhandlungen seien alltäglich gewesen, und wenn ihrem Mann danach gewesen sei, habe er sie eingesperrt. Nach der Scheidung habe ihr Vater sie erneut verheiraten wollen, mit einem Vater von vier Kindern. Ihr blieb nur die Flucht zu „SOS Femmes en détresse“.

Der Rechtsanwalt Mohammed hilft den Frauen des Zentrums bei juristischen Problemen. Für ihn ist die Diskriminierung von Frauen in den algerischen Gesetzen verankert. „Es gibt zahlreiche Paragraphen, die Frauen schlechterstellen als Männer“, sagt er. „Zum Beispiel hat der Mann das Recht, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, auch wenn es dafür keinen Anlaß gibt. Für eine Frau ist das viel schwieriger.“ Nach einer Scheidung behalte der Mann die Wohnung, während die Frau zumeist auf der Straße stehe. Zwar seien geschiedene Väter verpflichtet, Alimente zu zahlen. Die Höchstsumme betrage aber 800 Dinar, „nicht einmal genug, um dem Kind ein Paar Schuhe zu kaufen“.

Die Arbeit in dem Zentrum ist von der aktuellen politischen Lage Algeriens nicht unbeeinflußt geblieben. „Die Islamisten werfen uns vor, Frauen zu ermutigen, ihre Männer zu verlassen“, erzählt Louisa. Aus Furcht weigern sich die Mitarbeiterinnen deshalb, Frauen aufzunehmen, die von Islamisten bedroht oder mißhandelt wurden. „Wir wollen die Islamisten nicht provozieren, uns anzugreifen“, erklärt Belkadi diese Einschränkung. „Wir wollen die Existenz unseres Zentrums nicht gefährden. Und von der Regierung ist kein Schutz zu erwarten.“

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