Frühstück bei Christo

■ SPD Berlin: Tor bleibt zu / CDU: Tor geht auf / Kompromiß: Tor zum Frühstück auf, zum Mittag zu

Berlin (taz) – Die Lage in der Hauptstadt hatte sich bis gestern ernsthaft zugespitzt: Der von der CDU gestellte Verkehrssenator Herwig Haase wollte die Verhüllung des Reichstags nutzen, um nach fünf Jahren des Regierens Fahrzeughaltern endlich eine freie Fahrt durch das Brandenburger Tor zu bescheren – Bausenator Wolfgang Nagel von der mitregierenden SPD drohte aus Protest Barrikaden in Baustellenform an. Drei Millionen Schaulustige kämen in den beiden kommenden Wochen zu dem Christo-Spektakel, die dürften am nahegelegenen Brandenburger Tor nicht von der Blechlawine niedergemahlen werden, meinte der SPD-Mann.

Salomonisch, wie große Koalitionen entscheiden, fanden beide Senatoren unter Aufsicht des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU) dann nachmittags einen Kompromiß: Freie Fahrt vor dem Frühstück. Die Massen würden den Pariser Platz eh erst nach dem Verzehr von Hühnerei und Toast stürmen, glaubte Nagel gestern, da könne bis dahin der Berufsverkehr bei Spitzengeschwindigkeiten von bis zu zehn Kilometern in der Stunde sich durchs Denkmal stauen. Und weil die täglich etwa 200.000 Besucher die Gegend um den Reichstag nicht bis zum Abendbrot verlassen würden, bleibe das Tor wegen der Unfallvorsorge dann gleich bis morgens sechs Uhr zu.

Merkwürdig aber, daß das Tor Sonnabends und Sonntags ganztägig dicht bleibt. Sollten Touristen etwa an Wochenenden schon um sechs Uhr zwischen verpacktem Reichstag und nackten Säulen herumlungern? Die Antwort wissen wohl nur die Wahlkampfstrategen von CDU und SPD. In vier Monaten sind Abgeordnetenhauswahlen. Dirk Wildt