: Bremens Christo
■ Land Art von Hannsjörg Voth im Überseemuseum
Die Land Art mit ihren Großprojekten ins Museum zu bringen, scheint ein beinahe unmögliches Unterfangen. Dennoch: Das Überseemuseum wagt es. Und zwar gleich mit einem Vertreter dieser Kunstrichtung, bei dem dies besonders schwierig ist, weil seine Arbeiten nicht nur über enorme Raumdimensionen verfügen, sondern oft auch als „Zeitreisen“ angelegt sind, bei denen die Dauer ein konstitutives Element des jeweiligen Werkes bildet. Die Rede ist von Hannsjörg Voth, der in den sechziger Jahren an der Bremer Kunstschule studierte, in den Siebzigern mit Mammutprojekten wie der „Reise ins Meer“ bekannt wurde und mittlerweile zu den profiliertesten europäischen Vertretern im Umfeld von Aktionskunst, environment art und concept art avanciert ist.
Unter dem Titel „Zeitzeichen – Lebensreisen“ gibt die Bremer Ausstellung in Form von Konstruktionszeichnungen, Aquarellen, Modellen, Fotodokumenten und Videos einen Überblick über das Gesamtwerk des Projektkünstlers Voth und zeigt auch jene Aktionen, die niemals ausgeführt wurden.
Von der frühen Arbeit „Feldzeichen“ (1975) über das „Boot aus Stein“ (1981) bis zum aktuellen Projekt „Goldene Spirale“, das in Bremen zum ersten Mal öffentlich präsentiert und von Voth derzeit in Marokko realisiert wird, erschließt sich trotz aller Schwierigkeiten der Vermittlung die Faszination dieses Künstlers, der laut Katalogautor Christian W. Thomsen ein „deutscher Romantiker und Expressionist reinsten Wassers“ ist.
In der Tat: Schon die erste Arbeit „Feldzeichen“, bei der Voth vier 30 Meter hohe Stämme mit weißen Leintüchern umwickelte und in einer dreitägigen Aktion mit rund 50 Helfern auf einer bayerischen Anhöhe aufrichtete, enthält alle Zutaten des Romantikers, von der mythisch-mystischen Symbolik des Waldes bis zur verbindungstiftenden Gemeinschaftsarbeit. Nicht anders bei der „Reise ins Meer“, wo er mit einer 20 Meter langen Mumie auf einem riesigen Holzfloß von Ludwigshafen aus den Rhein hinunter bis in die Nordsee fuhr, um den Katafalk dort auf dem Wasser zu verbrennen. Auch hier wieder die Assoziationswelt des Romantikers, von der Reise als Symbol für das Leben zwischen Geburt und Tod über die Anklänge an den gefesselten Prometheus bis zu den Totenkulten der Ägypter und Wikinger.
Während das „Feldzeichen“ aber noch von einem Teil der bayerischen Landbevölkerung als derart provozierend empfunden wurde, daß sie es in einer Nacht-und-Nebel-Aktion absägten, traf Voths „Reise ins Meer“ mit ihrer Mischung aus Pathos, Melancholie und Abenteuersehnsucht den Nerv der Zeit. Vielleicht, weil die Aktion auf dem mythenbeladenen Fluß der Deutschen im Kontrast zu ihrem hochindustrialisierten Land ins Zentrum kollektiver Kindheitsträume zielte.
Wie die Ausstellung zeigt, entwickelten sich Voths Aktionen in der Folgezeit immer weiter in die Richtung solcher Robinsonaden, deren selbstgestellte Herausforderungen Extrembelastungen mit sich brachten, die er wie ein Bergsteiger vom Schlage eines Reinhold Messner bewältigte – nur daß den bergsteigerischen Obsessionen eben die künstlerische Komponente fehlt, wie der Katalog lakonisch anmerkt. Was diese angeht, wird bei Voth nicht nur eine Verwandtschaft zu Christo, Walter de Maria und Michael Heizer sichtbar, sondern auch eine Nähe zu Künstlern der Arte Povera wie Michelangelo Pistoletto und Mario Merz. Denn deren Arbeit mit den Metamorphosen der vier Grundelemente Wasser, Erde, Feuer und Luft ist auch Voths großes Thema. Etwa wenn er, wie 1981, ein „Boot aus Stein“ aus einem tonnenschweren Dolomitblock meißelt und dazu sein „Atelier“ als riesige Holzpyramide auf Stelzen mitten ins holländische IJsselmeer verlegt. Oder wenn er 1985-87 in der Marha-Ebene in Marokko mit einheimischen Arbeitern aus fußgestampften Lehmziegeln seine an Mayas und Azteken erinnernde „Himmelstreppe“ errichtet und darin eine ikarusartige Flügelkonstruktion aus handgeschmiedeten Messern aufhängt. Und schließlich in dem neuesten Projekt, der „Goldenen Spirale“, die er in Sichweite der „Himmelstreppe“ als Brunnenanlage in der westlichen Sahara realisiert, auf deren Grund ein kleines „Urboot“, eine Arche im Sinne des griechischen „arché“ den Ursprung des Lebens symbolisieren soll.
Sind diese archaischen Versuche, dem Mythos als vorwissenschaftlicher Welterkenntnis erneut Raum zu verschaffen, allenfalls in ihrer Betonung von Zahlenmystik und Lichtmetaphorik in kritischer Nähe zum reaktionären Potential der Romantik anzusiedeln, so muß bei seinen Auftragsarbeiten für Kunst im öffentlichen das Fehlen jeglicher kritischen Haltung bemängelt werden. Was selbst der Katalog in ebenso lobenswerter wie unüblicher Weise nicht verschweigt, wenn er über den „gezähmten Voth“ herzieht. Und dies zu Recht, denn es geht nicht an, etwa den Rhein-Main-Donau-Kanal mit einer künstlerischen Wasserscheide zu feiern oder der Bayerischen Versuchsanstalt für Bodenkultur – letztlich eine Versuchsanstalt für die Experimente der Chemiekonzerne – eine ästhetische Legitimation zu verschaffen.
Der kritische Blick auf solche Probleme fehlt an einigen Stellen zwar dem Künstler selbst, nicht aber der Ausstellung, mit der das Überseemuseum ganz nebenbei auch die eigene Rolle hinterfragt, indem es – besonders mit den marokkanischen Projekten – die ethnologische Sicht des Europäers auf die fremden Kulturen mindestens zur Diskussion stellt. Ein Vorgehen, das in solchen Institutionen nicht eben häufig anzutreffen ist.
Moritz Wecker
Hannsjörg Voth, „Zeitzeichen – Lebensreisen, Überseemuseum bis 27.8. Katalog DM 39,80.
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