piwik no script img

Weißblaue Fleischwursttragödie

Muppets mit Fransen: bat-Studiotheater zeigt Kroetz' „Männersache“ im Schokoladen  ■ Von Petra Kohse

Das schiffbrüchig anmutende Foyer des Theaters im Schokoladen ist rot verplüscht. Eine verjährte Bikinischönheit wurde an die Wand gepinnt, an einer anderen Stelle ein Plakat, das gleich auf mehrere „Karl-May-Gedächtnis- Abende“ an den kommenden Wochenenden hinweist: eine Winnetouzeichnung, der Bogen ist zum Schuß gespannt. Zwei Ikonen, verschiedenen Sozialisationen entstammend. Männersachen, historische. Aber es geht weiter.

Der Schönen wurde eine Brust sorgfältig ausgeschnitten, dafür hat Katka Kurze (sonst Maxim Gorki Theater) drinnen auf der Bühne zwei enorme Muppet-Brüste umgeschnallt. Claudia Bosse zeigt ihre Abschlußinszenierung an der Schauspielschule Ernst Busch: „Männersache“ von Franz Xaver Kroetz, ein Stück, das der Autor 1973 schrieb und seinerzeit für Aufführungen sperren ließ.

Katka Kurze war 1973 ein Jahr alt, jetzt spielt sie die Martha, eine Metzgerin, der man ein Verhältnis mit ihrem Schäferhund Rolfi nachsagt und die beide Augen auf den Saisonarbeiter Otto geworfen hat. Den spielt Christian Maria Goebel vom Staatsschauspiel Dresden mit güldener Elvistolle und struppigen Koteletten, in einem weißen Kunstlederanzug, ausgerechnet mit Fransen, und einem T-Shirt, auf dem steht: Nummer „2“. So ist das mit den Abziehbildchen.

Bosse hat sich Goebel schon einmal geholt, als sie letztes Jahr Ernst Tollers „Hinkemann“ im bat-Studiotheater inszenierte. Damals entlockte sie dem O-Mensch- Gejammer mit diesem Darsteller Volksstücktöne, und ein Volksstück ist es (früher Kroetz!) natürlich auch diesmal. In Philipp Stölzls Metzgerinnenwohnschlafstube, deren Details auf schiefer Ebene mit einem bajuwarisch weißblau gekastelten Stoff überzogen wurden, vollzieht sich eine Fleischwursttragödie.

Sie hat die Liebe, er den Stolz; sie hat den Laden, er den Schwanz. Aber sie hat auch noch den Schäferhund und er nur einen Kassettenrecorder, auf dem er die berufsbedingt gar nicht so intimen Geständnisse einer Hure abspielt. Während also er den Potenzling mimt, könnte sie sich ganz real schlecken lassen, und nicht nur am Knie. Glaubt er, und sie sagt, das könne er nicht beweisen. Kurz und schrecklich: Die Konkurrenz des Hundes macht ihn fast impotent, letztlich erschießt sie das Vieh und dann er sie und dann sie ihn.

Das Herz ist groß, der Sinn gebeugt. Das ist das Credo jeglichen Volksstückes, und dies will mit Kunst-Bayerisch, echter Naivität und viel Glauben an die schöne, falsche Ordnung der Küchenkoitus-Galaxie gespielt werden. „Du hast keine Demut“, klagt Otto immer wieder, und Martha desodoriert ihren Tangaslip am Körper.

Ein verzweifeltes, unförmiges, kindliches Chaos herrscht auf der winzigen Bühne, durch das zeitweise auch noch Uwe Meyer als Schäferhund Rolfi tanzt. Skurril ausstaffiert, taumelt das biedergeile Pärchen herum, und jeder rammelt noch am besten gegen die Wand oder hilflos in die Luft. Geküßt wird erst im Tode, nachdem sie Erschießen gespielt haben und das Himbeerblut in Strömen floß.

Bosse hat dem Kroetz gegeben, was dem Krotz gebührt: Klamotte und Innigkeit. Die gute Darstellung ist hier eine Typenfrage, und Kurze und Goebel sind eine treffliche Besetzung. Wenn Martha über Otto herfallen will, tut sie das, als ob sie's im Hundezwinger gelernt hätte. Wenn Otto sich von Martha unter der Fönhaube einen blasen läßt, macht er triumphierend Männchen. Einmal traut er sich, zur Penetration zu schreiten, nach der sie die ganze Zeit doch lechzte. Sie auf dem Kühlschrank, er zieht seinen Gartenschlauch von Stoffpenis hervor. Da wird's ergreifend. Kurze starrt fassungs-, weil empfindungslos ins Publikum, und Goebel läßt in einem Schwips von Fröhlichkeit die Hüften kreisen und riskiert ein kleines „Yippieh“. Ein rührend trauriger Moment eines eigentlich gar nicht stattfindenden Geschlechterkampfs.

Die abgründig aufklärerisch gemeinte Sozialgroteske aus den 70ern übersetzte die 26jährige Regisseurin ikonographisch als Paarung von Muppets mit Biberbettwäscheträumen. Dabei klabautert sie recht gekonnt mit Volksbühnenpseudoschockelementen herum und meint's doch bitterernst mit der Liebe. Kroetz ist alt, heißt das voll postpostmoderner Wehmut – aber viel weiter sind wir auch noch nicht.

Bis 2. 7., nächste Vorstellungen 17. 6., 21 Uhr, 18./19. 6., 20.30 Uhr, bat- Studiotheater im Schokoladen, Ackerstraße 169/170, Mitte

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen