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Kreuzberg zuerst!

■ Der wahre Heino, Spitzenkandidat der KPD/RZ und schärfster Konkurrent für Eberhard Diepgen, über sich, seine Partei und seine Chancen, Regierender Bürgermeister zu werden

taz: Herr Hähnel, tragen Sie immer ein Handy bei sich?

Heino: Entschuldigen Sie, ich habe doch gar kein Handy!

Warum müssen Politiker immer lügen?

Das ist eine Berufskrankheit.

Sie waren Sänger, sind Gastronom und kandidieren für die KPD/RZ, die Kreuzberger Radikalen Patrioten, Realistisches Zentrum, gegen Herrn Diepgen. Was bedeutet Ihnen die politische Bühne?

Geld. Macht. Ruhm.

Womit bewegt man die Menschen? Mit Gesang oder mit Politik?

Schwierige Frage. Bewegen. Ich meine, wenn es um die Emotionen geht. Glaube ich. Dann schon eher mit singen.

Sie waren kein guter Sänger. Sind Sie ein guter Redner?

Nein.

Was reizt Sie dann an Herrn Diepgen, daß Sie sich mit ihm messen wollen?

Mit Herrn Diepgen kann man sich nicht messen. Ich finde an Herrn Diepgen gar nichts reizvoll.

Warum treten Sie gegen ihn an?

Wir treten überhaupt nicht gegen jemand an. Wir treten für die Kreuzberger Interessen ein. Kreuzberg zuerst!

Sprechen Sie von Kreuzberg 36 oder Kreuzberg 61?

Wahlkampfhelfer: Bei dieser Unterscheidung handelt es sich um eine historische Lüge. Kreuzberg 61 existiert überhaupt nicht. In Wirklichkeit ist es so, daß Kreuzberg 36 das eigentliche Kreuzberg ist und daß im Laufe der Geschichte immer weitere Gebiete davon abgetrennt wurden. Das ist vergleichbar dem Prozeß der Teilung Polens. Das östliche Schöneberg ist eigentlich der westliche Teil Kreuzbergs.

Sie sind bei der letzten Kommunalwahl an der Fünfprozenthürde gescheitert.

In unserem Kreuzberger Kernland hatten wir durchweg über fünf Prozent. In einem Wahllokal in der Oranienstraße kamen wir sogar auf 17,6 Prozent! Nur aufgrund der undemokratischen Aufteilung der Wahlbezirke wurden wir um den Wahlsieg gebracht.

Mit welcher Message treten Sie an?

Heino: Message?

Ihre Botschaft.

Haben wir schon an Botschaften gedacht?

Wahlkampfhelfer: Wir planen eine ständige Vertretung in der Schweiz.

Zunächst wollen Sie ins Rote Rathaus und ins Rathaus von Kreuzberg. Welcher Bürgermeisterposten ist attraktiver? Der von Herrn Diepgen oder der von Herrn Strieder?

Heino: Wir haben nicht den Eindruck, daß es sich da um zwei verschiedene Personen handelt. Aber wenn Sie so fragen. Herr Strieder wird wieder Schuhe verkaufen, wie früher, Ecke Mehringdamm.

Wird denn ein KPD/RZ-naher Innensenator Herrn Strieder weiter Polizeischutz gewähren?

Wozu braucht er den? Als Schuhverkäufer!

Was versprechen Sie Ihren Wählern sonst noch?

Wir versprechen alles und halten nichts.

Darin unterscheiden Sie sich nicht von anderen Parteien.

Der Unterschied ist, daß wir von vorneherein sagen, daß wir bestechlich sind. Deshalb werden wir einen Teil unserer Versprechen halten. Das betrifft vor allem die völlige Deindustrialisierung Kreuzbergs. Das steht eindeutig im Parteiprogramm der KPD/RZ.

Demnach streben Sie eine Koalition mit der CDU an.

Wir streben eine absolute Mehrheit an. Aber wir sind auch eine liberale Partei. Wenn wir keine Mehrheit finden, wird es, wenn überhaupt, mit der FDP eine Koalition geben.

Sie erteilen einer schwarz-schwarzroten Koalition eine eindeutige Absage?

Natürlich. Lassen Sie mich dazu eines sagen: Wir dementieren ganz eindeutig, daß es mit dem Möllemann-Flügel der FDP bereits Geheimgespräche gegeben hat. Diese haben nicht stattgefunden.

Wie sieht Ihr Schattenkabinett aus?

Gut. Alles attraktive Kandidaten. Oder wie unser zweiter Spitzenkandidat, Bela B. von den „Ärzten“, zu sagen pflegt: „Es gibt manche, die mögen uns nicht, aber die stehn im Dunkeln und wir stehn im Licht.“

Was werden Sie in den ersten hundert Tagen als Regierender verfügen?

Zwei Stunden am Tag wird der Strom abgeschaltet. Gerade ein landwirtschaftlich geprägter Bezirk wie Kreuzberg muß sich wieder auf die Subsistenzwirtschaft besinnen. Im übrigen, lassen Sie mich das noch sagen, haben wir gerade unter den Landwirten großen Rückhalt. Achtzig Prozent der Vollerwerbslandwirte in Kreuzberg sind in der KPD/RZ organisiert. Wir werden zweitens die Landwirtschaft in Kreuzberg nach und nach auf nachwachsende Rohstoffe umrüsten.

THC-haltige?

Wir haben ganz klare Richtlinien, was Drogen betrifft. Wir sind für eine Legalisierung des Drogenhandels bei gleichzeitigem Verbot des Drogenkonsums.

Täuschen Sie Ihre Wähler damit nicht? Der Abgeordnete Hapel von der CDU behauptet, bei der KPD/RZ handle es sich um eine linksradikale Tarnliste.

Herr Hapel ist ein Abgeordneter der CDU, der immer wieder durch unschöne, unsachliche Ausfälle von sich reden macht. Aber mögen die Hunde noch so bellen, die Karawane zieht weiter.

Wie viele Mitglieder ziehen mit der Karawane?

Rund dreihundert. Etwa achtmal so viel wie die Kreuzberger FDP.

Mit wieviel Stimmen wurde der wahre Heino zum Spitzenkandidaten gewählt?

Wahlkampfhelfer: Es war ein spektakuläres Ergebnis, mit 263 Stimmen bei zwei Enthaltungen und acht Gegenstimmen. Die Wahl erfolgte am 22. April im Kaufhaus Kato.

Gibt es ein Protokoll dieser Wahlversammlung?

Heino: Natürlich.

Sie sind sich also sicher, daß die Wahl ihres Spitzenkandidaten vom Landeswahlleiter nicht beanstandet wird?

Als ich gestern mit diesem Herrn essen war, hat er mir nichts davon erzählt.

Herr Hähnel, noch ein Wort zu Ihrer Biografie. Sie nennen sich Heino ...

... Ich nenne mich nicht Heino. Ich bin Heino!

Es gibt demnach zwei Heinos.

Ja, es gibt da noch einen Heino neben mir.

Aber Sie sind der wahre?

Der andere ist der falsche. Ich meine, diese Geschichte ist ja schon alt. Soll ich sie noch mal wiederholen?

Ich bitte darum.

Als ich damals noch bei meiner alten Plattenfirma war, war ich auf Tournee in Südafrika, hab' dort mit einer Negerkapelle zusammen gespielt und wollte mit denen eine Platte machen. Aber der Plattenfirma paßte das damals nicht ins Konzept. Daraufhin hab ich mich von der Firma getrennt und bin nach Kreuzberg gegangen. Und da haben wir diesen Doppelgänger aufgebaut und unter dem Namen Heino vermarktet ...

Nun sind Sie doch ehrlich.

... und das ist dieser Herr Kramm, Heinz-Georg, der sich jetzt falscher Heino nennt. Interview: Uwe Rada

2.200 Unterschriften braucht die KPD/RZ, um zu den Wahlen zu kandidieren. Die Unterschriftenlisten gibt es in Heinos Kneipe „Enzian“ in der Yorckstraße 77.

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