: Rock around Artus' Tafelrunde
Das Glastonbury Festival feiert seinen 25. Geburtstag mit good Vibrations, Magie und vor allem Pop ■ Von Ralf Sotscheck
Somerset war schon immer eine „Transit-Grafschaft“: Die meisten TouristInnen rasen auf der Autobahn M5 durch die Landschaft, um nach Devon oder Cornwall im Südwesten Englands zu gelangen. Am Rande der charakteristischen Moorlandschaft, im Tal von Avalon, liegt Glastonbury, ein sagenumwobenes Marktstädtchen. Moderne Geschäftszeilen und Parkplätze lassen allerdings nichts von jenen Mythen und Legenden ahnen, die sich um diesen Ort mit seinen 7.000 Einwohnern ranken. Das Stadtbild ist durch die wirtschaftliche Blüte in der Vikotrianischen Zeit geprägt. Heute ist die Stadt nicht einmal mehr ans Eisenbahnnetz angeschlossen.
1970 flammte das Interesse an Glastonbury wieder auf – diesmal aus Gründen der Mythologie. Der Farmer Michael Eavis hatte gemeinsam mit Winston Churchills Enkelin Arabella das erste Glastonbury Festival organisiert. Die Popveranstaltung dauerte jedoch erheblich länger als geplant: Wegen der „magnetischen Vibrationen“, die sie an dieser Stätte zu verspüren glaubten, hielten nach Ende des offiziellen Festivals 300 Menschen den Platz sechs Wochen lang besetzt, beobachteten Ufos und waren durch nichts zum Verlassen des Geländes zu bewegen.
Seitdem lockt das Festival, dessen Gewinne der britischen Anti- Atom-Bewegung CND und Greenpeace zugute kommen, jedes Jahr bis zu 80.000 Menschen an. Dieses Jahr ist 25jähriges Jubiläum. Auf 17 Bühnen treten mehr als tausend Gruppen und KünstlerInnen auf, darunter Oasis, Stone Roses, P. J Harvey, Everything but the Girl, The Cure, Simple Minds, Tanita Tikaram, Saw Doctors, Die toten Hosen, Tricky, Altan. Darüber hinaus werden rund 20 Filme, darunter Pulp Fiction, Forrest Gump und The Rocky Horror Picture Show, gezeigt.
Nur einmal, im Jahr 1988, fiel das Festival auf Wunsch der Einwohner aus. Sie störten sich am florierenden Drogenhandel, den die Popfans mit sich brachten. Manche behaupteten gar, daß der Cheddarkäse in der Folge des Festivals auf dem Londoner Drogenmarkt gehandelt wurde: Die Kühe hätten das LSD gefressen, das die Hippies auf den Weiden hatten herumliegen lassen, und dadurch dem Cheddar zu einer unverhofften Veredelung verholfen. Doch vermutlich gehört auch diese Geschichte ins Reich der vielen Legenden, die mit dem Namen Glastonbury verbunden sind.
Der Berg Tor, an dessen Fuß das Festival stattfindet, ist das erste, was Besucher bei der Anfahrt nach Glastonbury sehen. Die Mythologie des Berges reicht weit in die Vorgeschichte zurück. Das labyrinthische Muster am Berg soll aus der Zeit der Göttinnenanbetung um 3000 bis 2000 vor Christus stammen, als man dort Wiedergeburtsrituale abgehalten habe.
Die Stadt wurde im 3. Jahrhundert von den Kelten gegründet. In keltischen Legenden taucht auch der Name Avalon auf, der vermutlich auf den keltischen Halbgott Avalloc, den Herrscher der Unterwelt, zurückgeht. Avalon war der Treffpunkt der Toten, der Ort, wo sie von einer Ebene der Existenz in eine andere übergingen. Zahlreiche Einwohner Glastonburys sagen, daß sie an bestimmten Tagen einen regelrechten Zwang empfinden, auf den Berg zu steigen. An anderen Tagen wiederum ist es ihnen unmöglich, sich dem Berg zu nähern. Schwangere sollen kurz vor der Geburt den unwiderstehlichen Drang verspüren, auf den Berg zu klettern. Das löse dann regelmäßig die Geburtswehen aus.
Auf halbem Weg zwischen dem Berg und Glastonbury liegt ein kleiner runder Hügel: Chalice Hill. An seinem Fuß befindet sich auf der Südseite ein Heilbrunnen, dessen Quelle unbekannt ist. Chalice Hill soll der Geburtsort des Christentums in Großbritannien sein. Im Jahr 63 habe Joseph von Arimathia den Heiligen Gral – den Behälter, der beim letzten Abendmahl benutzt wurde –, gefüllt mit dem Blut Christi, am Chalice Hill vergraben. Dann habe er eine kleine Holzkirche errichtet, zu deren Einweihung Christus persönlich erschienen sei. Jahrhunderte später machten sich König Artus und die Ritter der Tafelrunde auf die Suche nach dem Gral.
Manche Mythologen erklären die ungewöhnliche Konzentration von Mythen und Legenden auf die kleine Region um Glastonbury mit dem Tierkreis. Dieser Glastonbury-Tierkreis wurde 1935 von Katharine Maltwood „entdeckt“. Sie glaubte, daß sich die Abenteuer der Ritter von der Tafelrunde und die darin erwähnten Burgen auf tatsächlich existierende Orte bezogen. Durch die Verbindung von Bächen, Pfaden und Grenzlinien ergaben sich die zwölf Tierkreiszeichen. Es gibt jedoch auch profanere Erklärungen für die Mythen: Die mittelalterlichen Mönche sollen bei ihrer Entstehung kräftig nachgeholfen haben, behauptet der Verwaltungsangestellte Robert Dunning. Er stellte bei seinen Nachforschungen fest, daß die Geschichten um Joseph von Arimathia und König Artus' Tafelrunde einem durchaus weltlichen Zweck dienten: Nachdem die kirchlichen Gebäude im Jahr 1184 einem Feuer zum Opfer gefallen waren, brauchten die Mönche Geld für den Wiederaufbau. Richard I. steckte dieses lieber in Kreuzzüge. Die trickreichen Mönche streuten deshalb Gerüchte aus, wonach Artus und seine Frau Guenhuvara in Glastonbury begraben seien. Im Jahr 1191 „entdeckten“ sie schließlich die Grabstelle, die sie laut Dunning zuvor freilich selbst gegraben und mit Knochen ausgestattet hatten. „Der Trick hat funktioniert“, sagt Dunning. „Das Geld floß in Strömen.“ Und der Trick funktioniert weiter: Pop in Glastonbury, das ist nicht nur good vibrations – it's magic! Frances Howard-Gordon, die „mystische Führungen“ in Glastonbury anbietet, stören die Angriffe auf die Glaubwürdigkeit der mittelalterlichen Schlitzohren wenig: „Mythen“, sagt sie, „sind das Rückgrat jeder Kultur. Und beeinflussen diese Mythen, diese Ideenexperimente, nicht tatsächlich die Gesellschaft und veranlassen dadurch selbst Geschehnisse?“
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