Nachfrage nach Studiengängen, die „sich lohnen“

■ Beim AStA-Treffen der deutschen Hochschulen debattieren Aktivisten über ihre Unsicherheiten und Zukunftsängste/ „Bildung wird der Ökonomie nachgeordnet“

München (taz) – Das Zelt ist schon mal zu klein. Gut fünfzig Studenten zwängen sich auf die Bierbänke, dreißig weitere drängen sich am Eingang. „Hochschulen zwischen Humboldt und Standort Deutschland“ heißt die Veranstaltung, die beim Kongreß „Aufbruch 95“ offensichtlich mehr Studenten lockt als erwartet. Kurze Diskussion, ob man in ein größeres Zelt umziehen soll. Allgemeines Kopfnicken und Taschenpacken; einer gibt das ironische Kommando: „Aufbruch 95!“

Der Referent, Torsten Bultmann vom Bund demokratischer Wissenschaftler, macht sich an eine Kritik der aktuellen Hochschulpolitik. Das Recht auf Bildung mit entsprechenden staatlichen Pflichten werde immer stärker reduziert, sagt er: „Bildung und Wissenschaft werden allmählich der Ökonomie nachgeordnet.“ Bultmann beschreibt auch für die Hochschulen einen Trend zur Individualisierung von gesellschaftlichen Risiken: „Mittlerweile gilt ja schon, daß derjenige, der nach dem Studium arbeitslos ist, sein Kapital falsch ausgeschöpft hat“.

Die Diskussion nach seinem Referat liefert ein paar Hinweise, wie sehr dieser Trend einen Teil der Studenten verunsichert. Immer wieder fallen Stichworte wie „klare Studienordnung“ – vorgebracht nicht mit abschätzigem Tonfall, sondern eher als Wunsch. „Es gibt doch eine Nachfrage der Studenten nach klar strukturierten Studiengängen, die sich ökonomisch lohnen“, faßt ein Student zusammen, und man ahnt, wie mühsam es ist, mit den Unsicherheiten von Arbeitsmarkt, Prüfungsanforderungen und überfüllten Hörsälen zurechtzukommen.

Politische Gewißheiten verkünden die wenigsten, und klassenkämpferische Vokabeln liefert nur noch der ältere Genosse mit dem schwäbischen Dialekt, der später am Büchertisch der MLPD (Marxistisch-leninistische Partei Deutschlands) stehen wird. Cordula, eine 24jährige Elektrotechnik-Studentin aus Bochum, beschreibt dagegen ihre Verunsicherung: „Allein im Umweltbereich auszuwählen, wo man sich engagiert – Greenpeace, WWF oder eine Bürgerinitiative – ist doch eine Arbeit von Jahren.“

Cordulas Engagement im Fachschaftsrat der Uni hat zwar durchaus mit politischen Zielen zu tun. Doch es ist auch ein Versuch, eine eigene Position zu finden: „Ich habe mich eben entschieden, das Studium nicht einfach durchzuziehen, sondern auch zu fragen: Wo stehe ich überhaupt?“ Damit sei sie in ihrem Paukstudium allerdings auch eine Exotin: „Die meisten sagen: Theoriedebatten sind gut und schön. Aber darauf haben wir keine Lust, denn das erschwert das notwendige Lernen.“

Manchmal spürt man auch, daß mit der stärkeren Unsicherheit auch eine ziemliche Unbefangenheit einhergeht. Zu hören sind kaum noch bleierne Theoriedebatten, statt dessen laufen eher pragmatische Diskussionen über den Umbau der Krankenversicherung oder über erneuerbare Energien. Und die Zeiten der Angst vor der Computertechnologie sind offenbar auch vorbei. So steht im Hof der Uni ein enorm gut besuchtes Zelt, das mit Rechnern vollgepackt ist. Eine Computerfirma als Sponsor hat die Geräte verliehen; jetzt weist ein begeisterter Physiker den ahnungslosen AStA-Mitarbeitern den Weg durch das Internet. Er demonstriert die Benutzung der Internet-taz und „blättert“ in den Texten eines „schwarzen Bretts“, das nur mit studentischen Sorgen vollgeschrieben wird. Da forscht ein A. Hintius nach Ethik-Manuskripten, und D. Quander fragt: „Ich möchte in Dresden studieren. Wie eignet sich die Stadt? Was bringt das außeruniversitätliche Leben?“ Felix Berth