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Der Mann, der die Antworten auf alle Fragen kennt

■ Jürgen Rollmann, einst Torwart von Werder Bremen, porträtiert seinen Ex-Chef Otto Rehhagel: „Ein Taktiker der Macht, der schweigt und kühl entscheidet“

Vierzehn Jahre währte die Ehe zwischen dem Fußballehrer Otto Rehhagel (56) und Werder Bremen; Jahre, die vor allem geprägt waren von sportlichen und verbalen Auseinandersetzungen mit dem Erzfeind aller Bremer Fußballanhänger, dem FC Bayern München. Und der ist nun zum einen ab Juli neuer Arbeitgeber Rehhagels, zum anderen heute der Gegner im Meisterschaft entscheidenden letzten Saisonspiel. Der Abschiedsschmerz treibt seltsame Blüten. Während in Dortmund eine ganze Stadt elektrisiert der Minimalchance harrt, erklärt selbst Werder-Verteidiger Uli Borowka: „Die Meisterschaft interessiert mich nur am Rande. Wir verlieren mit Rehhagel einen großen Trainer.“

Fürwahr: Als großer Trainer darf sich Otto Rehhagel fühlen. 1981 trat er seinen Dienst bei Werder in der zweiten Liga an, 1988 setzte die Titelflut ein, die unter anderem zwei Pokalsiege, zwei Meisterschaften und einen Europapokalsieg brachte und den zwar Scheidenden, doch Lebenden in der Hansestadt tatsächlich bereits zur Legende hat werden lassen.

Mythos Rehhagel. Was ist dran an diesem Mann? Eine Frage, die Scharen von Sportjournalisten in die Verzweiflung getrieben hat, gab sich doch der Eigenwillige all die Jahre ziemlich zugeknöpft; schon gar nicht ließ er sich auf sportliche Diskussionen ein. Als „Kind der Bundesliga“ (Rehhagel über Rehhagel) war es ihm widerlich, mit Journalisten zu diskutieren, die seiner Meinung nach allesamt ahnungslose Besserwisser waren.

Auch sonst galt: Keine Demokratie – Ottokratie. Mediales Aufbegehren ließen ein starkes Präsidium und ein brillanter Manager Willi Lemke, andererseits der sportliche Erfolg stets ins Leere laufen. So wurde Rehhagel den Bremern als Trainer selbstverständlich, die Auflistung seiner Pannen und Schwächen unergiebig, sein Führungsstil als unabänderlich hingenommen. Parallelen zum Kanzler Kohl drängen sich auf, den Rehhagel nicht zufällig verehrt und dessen Partei er wählt.

Wie aber können die Spieler mit einem Mann klarkommen, ihn regelrecht lieben, der sich offensichtlich als Diktator aufführt? Ganz einfach: Rehhagels Manschafts- und Menschenführung ist zwar nicht unumstritten, aber konsequent und in den meisten Fällen korrekt. Der Mann verlangt sportliche Disziplin, stellt das Kollektiv über Einzelinteressen, spielt jedoch nicht den Oberlehrer, wenn es um private Dinge geht. Kein Spieler, der ihn um einen freien Tag wegen privater Angelegenheit bittet, muß eine negative Antwort befürchten. Geldstrafen, mit denen viele Klubs ihre Spieler wegen Nichtigkeiten belegen, gibt es in Bremen nicht. Spielerschelte über die Medien findet nicht statt. Straftraining oder übertriebenes Training, das jüngere Trainer gerne als Zeichen von Stärke demonstrativ und exklusiv für die Öffentlichkeit ansetzen, gibt es nicht. Otto analysiert kühl, schweigt und entscheidet. Der Ärger des einzelnen dringt durch gute Medienarbeit selten nach außen und konnte immer durch den Erfolg des Teams kompensiert werden.

Otto Rehhagel hat gelernt, sich zusammenzunehmen, keine Gefühle zu zeigen und den Zeitpunkt des Handelns selbst zu bestimmen. Dem öffentlichen Druck nicht nachzugeben, das ist eine seiner Lieblingsbeschäftigungen geworden. Ein Taktiker der Macht ist er, der sein Leben dem Fußball untergeordnet hat und nach 32 Jahren Bundesliga als Spieler und Trainer alle Antworten kennt auf die Fragen, die der Fußball stellen kann. Und: Er hat diese Antworten – wiederum im Gegensatz zu jüngeren Kollegen – nicht in einem schlauen Buch gelesen, sondern in hartem Kampf dem Leben abgerungen. Mit dem britischen Naturforscher Charles Robert Darwin hätte er sich bestimmt gut verstanden, zumindest dessen „survival of the fittest“-Theorie nicht dementiert.

Der Entwicklungsprozeß des gelernten Anstreichers aus Essen war langsam, aber stetig, und es ist insofern konsequent, daß seine Trainerlaufbahn, die 1978 nach einem 0:12 seines damaligen Vereins Borussia Dortmund am Ende schien, siebzehn Jahre später einem neuen Höhepunkt zustrebt: Bayern München ruft. Als schienbeinputzender Spieler hatte ihn der geniale Franz Beckenbauer (49) einst kaum wahr- und schon gar nicht für voll genommen. Nun war es der Kaiser höchstselbst, der in ihm die langfristige Lösung auf der schwierigen Bayern-Trainerbank sieht. Der Einfluß Beckenbauers auf Rehhagel scheint bereits vor Dienstantritt enorm. Plötzlich öffnet sich der lange schweigende Trainer-Guru sogar und insbesondere der einst verhaßten und bekämpften Boulevardpresse. Da wirft einer, der seinen Weg auch auf Prinzipien gründete, Prinzipien über Bord, das ruft Erstaunen hervor. Insbesondere bei den Werder-Verantwortlichen. „Wir sprechen nicht mehr miteinander“, erklärte unlängst Manager Lemke, „wir wickeln nur noch ab.“ Aber auch hier gilt: Der Ärger des einzelnen wird kompensiert durch den mannschaftlichen Erfolg, der heute wieder einmal greifbar nahe ist. Otto Rehhagel wird auch in München Erfolg haben. Sein Instinkt, die richtigen Spieler auf den richtigen Platz zu stellen, wird ihn das Bayern-Problem meistern lassen, daß durch ein Großaufgebot an renommierten Spielern die Unzufriedenheit von einzelnen programmiert ist. Und seine Medienneurose? Therapieren seit Monaten erfolgreich Franz Beckenbauer und Uli Hoeneß – was soll da noch schiefgehen?

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