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Zweihundert kleine Zeitbomben auf dem Weg in die USA Von Ralf Sotscheck

Ganz Irland trauert, seit das Fußball-Nationalteam vor acht Tagen gegen Österreich verloren hat – nur Joe Carroll nicht. Er ist heilfroh, daß sich die Mannschaft nun wohl nicht mehr für die Europameisterschaft im nächsten Jahr in England qualifizieren wird. Joe hat nichts gegen die Fußballer, im Gegenteil: Im vergangenen Sommer ist er sogar nach Orlando geflogen, wo Irland bei der Weltmeisterschaft gegen Mexiko antrat. Aber er mußte 50 Kinder mitnehmen.

Joe ist Sozialarbeiter. Der Trip nach Orlando wurde vom niederländischen Fernsehen bezahlt, weil man einen Film über Kids aus den Slums der Dubliner Innenstadt drehen wollte. Joe siebte die Kinder sorgfältig aus, die schlimmsten Monster sollten zu Hause bleiben. Umso größer war sein Entsetzen, als sie dann trotzdem im Flugzeug saßen: Sie hatten sich die Reise über innerstädtische Fußballklubs erschlichen, die ebenfalls vom niederländischen Fernsehen gesponsert wurden – 150 kleine Zeitbomben, alle zwischen zwölf und vierzehn. Während Joe aber sechs Kollegen dabei hatte, um seine 50 Kids in Schach zu halten, hatten die Fußballvereine lediglich vier Erwachsene mitgeschickt.

Schon im Flugzeug fingen die Scherereien an: Weil drei Jungs auf dem Klo rauchten, ging der Feueralarm los. Der Pilot wies freundlich auf die Feuergefährlichkeit von Kerosin hin und handelte sich dafür 200 gestreckte Mittelfinger sowie ein „Fuck off, you bastard“ über das Bordmikrofon ein, das einer der Raucher in seine Gewalt gebracht hatte. Für die Stewardessen blieb der Flug vermutlich unvergeßlich: Bei jedem Gang durch das Flugzeug griffen ihnen Dutzende kleiner Hände unter den Rock. Das niederländische Fernsehteam mußte die Filmaufnahmen bereits kurz nach dem Abflug wegen Sabotage an den Kameras einstellen.

In Orlando ging der Ärger weiter. Nach dem Spiel gegen Mexiko hatte Joe schon frohlockt, daß das Schlimmste überstanden sei – doch weit gefehlt. Auf dem Rückweg zum Flughafen blieben die Busse in glühender Hitze im Stau stecken. Plötzlich drückten fünf Kids den Notausgang auf, rannten quer über die Fahrbahn, sprangen über einen Zaun und hechteten in voller Montur in den Swimmingpool einer US-amerikanischen Kleinfamilie, die sich gerade zum Grillen im Garten versammelt hatte. Nachdem die Kids eine Runde geschwommen waren, packten sie Steaks und Würstchen ein, überhäuften die Kleinfamilie mit einer Schimpfkanonade und stiegen wieder in den Bus ein. Doch damit nicht genug. Viel zu spät erkannten die Betreuer, wie auf dem Flughafen von Orlando der zollfreie Schnapsverkauf geregelt war: Man bezahlt die Ware, erhält sie aber erst am Eingang des Flugzeuges, wo ein Angestellter die vollen Plastiktüten austeilt. Völlig fassungslos mußte der Unglücksrabe mitansehen, wie sich die kleinen Gangster selbst bedienten. Als man ihnen die Flaschen endlich wieder entwendet hatte, war es zu spät: Etwa drei Dutzend waren volltrunken und randalierten, so daß sie mit Handschellen an die Sitze gefesselt werden mußten und sich vollkotzten. Als die stinkende Maschine endlich in Dublin landete, schwor sich Joe, fortan dafür zu beten, daß sich Irland nie mehr für ein wichtiges Turnier qualifiziert. Offenbar sind seine Gebete vor acht Tagen erhört worden.

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