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Juckende Ameisenschwärme

Zwischen Stories und den Erfordernissen des von Weißen dominierten Kunstmarktes: Malerei von elf Aborigine-Künstlern und -Künstlerinnen im Haus der Kulturen der Welt  ■ Von Michael Bienert

Während der Reichstagsverhüllung sind im „Haus der Kulturen der Welt“ Gemälde von Aborigines, den Nachfahren der australischen Ureinwohner, zu sehen. Die räumliche und zeitliche Nachbarschaft beider Ereignisse hat sich zufällig ergeben. Sie könnte jedoch nicht glücklicher erdacht worden sein. Denn bei aller Gegensätzlichkeit der Ausdrucksformen kreist die Kunst der Christos und der Aborigines um ein ähnliches Thema.

Die Verhüllung ist ein massiver Eingriff in den öffentlichen Raum, mit dem Ziel, für dessen soziale Prägung und Nutzung zu sensibilisieren. Die Aktion verwandelt einen Raumausschnitt in ein kleines Reich der Kunst, in dem die Gesetze, nach denen sonst Raum verwertet wird, aufgehoben sind.

Die Malerei der Aborigines ist ein Akt des Widerstandes gegen die Besetzung des Landes ihrer Vorfahren durch europäische Kolonisten. In ihren Werken erscheint ein spirituelles Verhältnis zum Raum, das unserer Art der Inbesitznahme, Abgrenzung und Ausbeutung widerspricht. Für die australischen Ureinwohner ist die Landschaft durchzogen von Linien, deren topographische Merkmale mit Episoden aus der Ahnengeschichte verknüpft sind. Die Unterbrechung oder Überformung einer solchen Linie bedeutet eine Verletzung ihrer persönlichen Identität.

Mit einem 1994 verabschiedeten Landrechtsgesetz hat die Regierung den Versuch gemacht, dieses Verhältnis der Ureinwohner zum Land ihrer Vorfahren ins moderne Rechtssystem Australiens zu integrieren. Die Aborigines können Entschädigungsansprüche geltend machen, wenn sie eine kontinuierliche Verbindung zu einem bestimmten Ort nachweisen. Dabei werden die Liederzyklen, in denen die Geschichte der Ahnen aufbewahrt ist, von Gerichten als Beweismittel anerkannt.

Die Stories der australischen Ureinwohner haben in den Wegen durch die Landschaft ihre visuelle Entsprechung. Sie lassen sich als Ornamente aus Punkten, Kreisen und Spiralen darstellen. Die Aborigines kennen eine lange Tradition von Körperbemalungen und Sandmosaiken, die anläßlich ritueller Zeremonien ausgeführt werden. Daher sind die traditionellen Bilder der Aborigines vergänglich.

Die auf Dauer angelegten Tafelbilder in der Ausstellung fixieren nicht nur den Bestand an Stories und ihren bildlichen Ausdruck. Es handelt sich nicht um ethnologische Dokumente, sondern um Kunstwerke, die für einen von Weißen beherrschten Markt gemalt wurden. Der Kurator Bernhard Lüthi warnt davor, sie als Ausdruck eines intakten esoterischen Weltbildes mißzuverstehen. Die dreizehn ausgestellten Künstler sind in einer europäisch dominierten Welt aufgewachsen und haben ihre eigene Kultur als eine benachteiligte und ausgegrenzte erfahren. Ihre Kunst ist nicht naiv, sondern sentimentalisch. Alle gehen auf sehr moderne Weise mit der Tradition um.

Am leichtesten nachvollziehbar ist die Loslösung vom rituellen Kontext an den figürlichen Arbeiten von Jarinyanu David Downs. Ein Bild zeigt die Begegnung zweier Regenmänner aus der Vorzeit, durch das der Maler sein eigenes Verhältnis zum Künstlerkollegen Peter Skipper spiegelt. Ein anderes Werk übersetzt die jüdisch- christliche Geschichte von Moses in der Wüste in die schlichte Bildsprache der Aboriginesmalerei. Downs verfährt nicht anders als Generationen europäischer Künstler: Er drückt in der Darstellung von Mythen seine Individualität aus und entwickelt zugleich die rückwärts gewandte Bildsprache durch die Arbeit mit „exotischen“ Motiven weiter.

Anders als vorangehende Ausstellungen betont diese Auswahl individuelle Handschrift und Werkentwicklung der Künstler. Ihre Arbeit ist in kürzester Zeit über den kunsttherapeutischen Ansatz hinausgewachsen, die den Anstoß zur modernen Aborigineskunst gab. Die Anregung kam von dem Kunstpädagogen Geoffrey Bardon, der 1971 an der Schule der Aborigines-Siedlung Pintupi zu arbeiten begann. Eine Batik-Gruppe brachte die heute etwa 85jährige Emily Kame Kngwarrey zur Kunst. Wie die anderen ausgestellten Künstler fristete sie ein Leben als Landarbeiterin, ehe sie von weißen Kunstagenten entdeckt wurde. Heute kosten ihre Werke auf dem amerikanischen Markt bis zu 25.000 Dollar.

Ihre abstrakten Punkt- und Strichmuster bestechen allein durch die Sicherheit der Pinselführung. Über die zugrundeliegenden Stories hüllt sich die Malerin wie viele andere auch in Schweigen. In eine Geschichte eingeweiht zu sein, war in den Gemeinschaften der australischen Ureinwohner auch eine Machtfrage. Viele Aborigines sind zwar bereit, ihre Bilder an die Weißen zu verkaufen, geben aber ihr Geheimnis oft gar nicht oder bloß teilweise preis.

Während sich bei manchen die Perfektion der Darstellung nur erschließt, wenn man die Geschichte kennt, ist sie bei anderen nahezu bedeutungslos. Wenn Maxie Tjampitjinpa ein Buschfeuer oder einen Schwarm fliegender Ameisen malt, kommt er völlig ohne figürliche oder symbolische Elemente aus. Der Betrachter schaut auf eine mit abertausend Punkten übersäte Fläche und spürt unwillkürlich flirrende Hitze oder ein Jucken am Körper.

Obwohl die Künstler moderne Malmaterialien verwenden, beschränken sie sich meist auf warme Erdtöne, die ihnen von den früher gebräuchlichen Naturfarben vertraut sind. Bei Ginger Riley Munduwalawala wird man bereits mit einer grellen Farbigkeit konfrontiert, die an Kinderzeichnungen oder neue Wilde erinnert.

Bei aller Freude an der Malerei sollte ihr politischer Aspekt nicht vergessen werden. Als Warlpiri- Künstler 1983 nach Paris eingeladen wurden, schufen sie dort ein zeremonielles Bodenbild, dessen Botschaft lautete: „Wir haben dieses Gemälde nicht gemacht, um Ruhm oder Ehre zu suchen. Wir wollen nur, daß die Welt unsere Kultur akzeptiert und respektiert. Wir wollen nur die Anerkennung, daß wir eine Kultur haben und daß wir, die Warlpiri-Leute, in Australien stark bleiben. Wir wollen nicht als etwas Besonderes betrachtet werden. Wir wollen einfach anerkannt werden als Teil der menschlichen Rasse, mit unseren eigenen Traditionen, wie wir uns immer selbst sahen.“

„Stories“, bis 10.9., Di-So 11-19 Uhr, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten. Siehe auch sonstige Veranstaltungen im Rahmen des Programmschwerpunkts „Die Rückkehr des Bumerangs“.

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