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„Meins war bloß die Arbeit“

Seit fünfzig Jahren arbeitet Frieder Übel als Knecht in Unterfranken, zwölf bis sechzehn Stunden am Tag für 550 Mark im Monat plus Kost und Kammer  ■ Von Bettina von Kleist

Seit 1952 arbeite ich hier auf dem Hof. 44 Jahre. Eigentlich heiß' ich Georg Friedrich Übel. Aber in Weidenheim haben immer alle Frieder g'sagt. Es ist ja wurscht, ob Friedrich oder Frieder. Ich vertrag's aber nicht, wenn jemand Herr zu mir sagt. Ich sag' immer: Ich bin kein Herr.

Dieses Jahr werde ich 61. Ich bin 1934 geboren. Ich bin der Drittälteste. Die Mutter hat jedes Jahr ein Kind g'habt. Acht Stück angeblich. Wahrscheinlich sogar neun. Die Mutter war nicht verheiratet. Ich hab' meine G'schwister nicht alle g'kennt. Ein Bruder und ich sind wahrscheinlich von dem Schäfer in Weidenheim. Ein Luftikus war der. Bauernknecht wie ich. Später hat sein Vater in Weidenheim die Schafweide gehabt. Da hat er Schafe hüten müssen. Abends ist meine Mutter immer zu ihm rausgegangen. Sie hat beim Schäfer g'fensterlt; so hat sie dann wieder so 'nen Bamm gekriegt. Aber die Mutter hat ja nix g'habt. Außer a kleines Häusel. Dafür hat sie zwölf Mark Miete bezahlt.

Sie hat immer arbeiten müssen. Sie hat draußen bei den Bauern geholfen. Deshalb sind mein Bruder und ich in Pflege gekommen. Zu einer Tante in Mark Nordheim. Wir haben Tante g'sagt. Aber sie war eine Pflegefrau. Wie alt ich war, weiß ich nicht. Ich war a kleiner Bobbel. Später haben die Eltern vom Schäfer meinen Bruder zu sich genommen. Die hatten Landwirtschaft. Deshalb haben sie den größeren genommen. Ich war einfach a weng klein.

Als ich mit sechs Jahr' in die Schul' kommen bin, bin ich zurück nach Weidenheim kommen. Zu Hause war ich dann der Älteste und hab' tüchtig arbeiten müssen. Meine Mutter hab' ich nicht gemocht. Den ganzen Tag ist auf einen druffg'schlagen worden, weil ich zu der Pflegefrau gewollt hab'. Und wehe, es hat was nicht geklappt! Da hat sie zur Decke g'langt, da war so ein kleines Ringele, da war der Stecken drinnen, da hast deine Schläge kriegt. Wenn der Lehrer g'fragt hat wegen der blauen Flecke, hab' ich g'sagt: Ich bin gestürzt. Ich habe immer nur Schläge gekriegt und hab' alles machen müssen: putzen, spülen. Damals hat man ja kein' Mähdrescher gehabt; den ganzen Nachmittag hab' ich für den Bauern barfüßig die Kühe in die Stoppeln führen müssen. Barfüßig.

Wie ich konfirmiert bin, mit vierzehn Jahren, war ich schon zwei Jahre beim Bauern. Ich war zur Früh im Kuhstall. Da hat man ausgemistet. Wenn du fertig warst, bist du in die Stube, hast Kaffee getrunken, hast dich schnell gewaschen. Es hat ja immer pressiert. Ich hab' a Mädel kennt, von der hab ich vor der Schule die Hausarbeiten abgeschrieben. Aber ich hab leicht g'lernt. Wenn der Lehrer was g'sagt hat, konnt ich's gleich auswendig. Trotzdem, gern bin ich nicht in die Schul' gangen. Gäule fahren, das war mein Hobby. Auf die Gäul' war ich versessen bis dortnaus. Ich hab' immer a Gäulsknecht machen wollen, aber ich war a Punkt zu klein. Wenn du dich vorgestellt hast, da war nix zu machen.

Beim ersten Bauern hab' ich in der Speisekammer g'schlafen. Doch ich hab nix gegessen, weil, ich hab's nicht gebraucht. Ich hab doch zu essen kriegt in Hülle und Fülle. Hungern hab' ich nie müssen. Zu Hause hat's meist nur Erdäpfel gegeben, mit Pflaumenmus drauf. Jetzt hab' ich mit der ganzen Bagage nix mehr zu tun. Nur mit meinem Bruder. Die Mutter ist tot. Ich bin nicht zur Beerdigung gangen. Mir ist's so schlecht gangen daheim. Ich war immer der erste, wo Schläg' kriegt hat. Dann sind erst die andern drankommen. Beim Bauern war es besser. Da hast dein gutes Essen kriegt, und schaffen tu' ich gern. Sehr gern sogar.

Am Anfang habe ich 20 Mark im Monat verdient, aber den Lohn hat mei Mutter kassiert. Sie hat mit dem Bauern ausg'macht, daß sie ihn abholt. Es hat geheißen, davon wird a Hosn oder a Hemd kauft. Ich hab' jeden Sonntag zwei Mark gekriegt. Freizeit? So was gab's nicht. In die Kirche bin ich nur einmal gegangen. Da ist a Wette g'macht worden. Ich bin schon christlich, hab' einmal 1.000 Mark gespendet. Bloß in die Kirch' geh' ich net. Für a dreiviertel Stunde zieh' ich mich nicht gerne um.

Freitagabend ist bei uns Wirtshausbetrieb. Um viertel neun geh' ich manchmal runter, trink' a Seidle Bier, unterhalt' mich ein bißchen, esse a Ripple, nach 'ner halben Stund' bin ich wieder heim. Ich trink' mein Bier lieber daheim. Erstens ist es billiger. Und zweitens wirst du im Wirtshaus ausg'fragt. Denen geht's nichts an, was bei uns passiert. Weil ich von den anderen auch nichts wissen will. Abends gibt mir die Chefin mei' Vesper, die nehm' ich mit ins Zimmer. Ich wasche mich. Dann wird gevespert. Dann leg' ich mich ins Bett.

Dies ist meine dritte Stelle. Zwischendurch hab' ich allerhand erlebt. Nach dem Krieg ist von Weichhofen immer der Kaufmann kommen. Der hat ein kleines Auto gehabt und hat alles mögliche vekauft, auch Zigaretten. A Funfzigerl haben die Zigaretten gekost'. Da war'n 6 Stück drinnen. Ich lauf' zum Kaufmann runter. Da hat mein Bruder die Autotür aufg'macht und hat g'sagt: Nehmen wir uns a Schachterl Zigaretten raus! Prima, hab' i g'sagt und hab' mir die Tasche gleich vollgesteckt. Danach hab' ich Mist fahren müssen mit 'nem Gaul, und wenn der Mist aufgeladen war, hab' ich mir 'ne Zigarette angebrannt. Der Fritz hat mich dann verpfiffen: Der Frieder raucht schon seit heut' früh. Da ist die Polizei gekommen. Ich bin dem Richter vorgeführt worden. Ich hab' acht Tag kriegt. Der Richter hat g'fragt, ob ich etwas einzuwenden habe. Da hat die Mutter g'fragt, ob die Straf' nicht an weng leichter ginge. Der Richter sagte: Ja. Aber drei Tag hab' ich machen müssen. Sie hab'n dem Bauern geschrieben. Der hat g'sagt: Allerweil geht's nicht, daß ihr ihn mitnehmt. Ich bin dann im Oktober mit dem Fahrrad raufgefahren. Da haben sie mich dann eing'sperrt. Es war furchtbar.

Im Juni, da war die Rapsernte, hab' ich dann hier in Geckenheim angefangen. Ich habe gleich 80 Mark kriegt. Im Monat. Meine Mutter hat damit nix mehr zu tun gehabt. Der Bauer hat g'sagt: Das Geld wird für mich zusammeng'spart. Zuerst kriegt er mal was G'scheites zum Anziehen. Das Geld hat der Chef bewahrt, und ich hab' mein Taschengeld gekriegt, 20 oder 30 Mark. Damit ich zu was komm' und es nicht verlumpe. Sonntags bin ich nit fort'gangen, ich hab's ja auch nicht kannt, sondern bin von der ersten Woche an daheim blieben. Ich hab' vom Bauern und der Bäuerin und vom Opa die Schuh g'waschen und hab' sie g'schmiert. Ich habe die Gäule zusammengerichtet, hab sie geputzt, und so hab' ich mich praktisch hochgewirtschaftet. Weil ich das g'macht hab', hab' ich immer wieder mehr Geld kriegt. Wo hätte i denn hing'wollt? Ich war froh, daß ich Leut' hab', mit denen ich gut sein kann. An Heiraten hab' i noch nie dacht. Ich war doch a armer Bub. Meins war bloß die Arbeit. Das war mein einziges Hobby.

Und das ist es auch heute noch. Wo ich 1980 im Krankenhaus war, ich bin zwölf Wochen da g'wesen, da ist mir mein Fuß angenäht worden, der hat ja nach dem Unfall mit dem Mähdrescher bloß noch an der Haut g'hängt, hab' ich mir g'schworen, wenn i wieder laufen kann, schaff' ich Tag und Nacht. Seit mein Chef 1983 g'storben ist, hat mich die Frau G. oder die junge Bäuerin noch nicht einmal wecken brauchen. Ich steh' jeden Tag als erster auf. Ich schaff', als ob das mein eig'ner Hof wär'.

Aber für die alte Chefin bin ich immer noch der Knecht. Ich sag': Das gibt's nicht mehr, der Knaacht. Heute gibt's a landwirtschaftlicher Mitarbeiter und kein Knecht mehr, sag' i. Natürlich, ich bin praktisch fremd bei den Leut'. Trotzdem: So, wie ich mich aufführ', bin ich kein Knecht. Der Chef, wo er noch g'lebt hat, hat mich betitelt: Ich bin der zweite Chef. Wenn jemand kommt und sagt, er braucht ein' Anhänger, brauch' ich nicht zu fragen.

Die Chefin pludert sich ja manchmal ein bißchen auf. Dann wieder ist sie seelengut, die Frau G. Ich sag' Bäuerin zu ihr. Auch mal „Mutter“, wenn sie mich nicht g'rad geärgert hat. Die braucht immer was zum Streiten. Immer wenn der Mondwechsel ist. Die Tochter ist da anders. Aber die hat auch Mucken. Die bildet sich ein, weil sie so ein' großen Hof hat, hat kein anderer zu kommandieren. Ich sag' dann: Du warst noch nicht mal auf der Welt, da hab' ich schon gearbeitet. Davon versteh' ich was, und du verstehst ein' Scheißdreck! So ist das bei uns.

Wenn ich mal a Zorn hab', weil die alter Bäuerin mich ein' Hund, ein' faulen, geheißen hat, wird bei uns deutsch geredet. Vor a paar Tag' schreibt sie mir vor, wieviel Fläschle Bier ich am Tag trink'. Jede Woche Samstag kommt das Bierauto und bringt vier Kisten Bier. Das sind 80 Fläschli. Also, sagt sie, trinkst du jeden Tag 11 Fläschli Bier. Na, sag' i. Und wenn ich 20 trink'? I bin nit b'soffen. Wenn ich abends in meiner Stube oder im Stall 2 oder 3 trink, fahr' i kein Schlepper mehr.

Urlaub hab' i nie g'macht. Ich fahr' jedes Jahr im Februar zur Lichtmeß nach Würzburg zum Einkaufen. Da nehm ich mir 1.000 Mark mit, die krieg' ich, weil ich nicht in Urlaub fahr'. Da wird ein Koffer mitg'nommen. Da kauf' ich meine ganzen Klamotten, die ich brauch'. In der Bahnhofswirtschaft trink' i a paar Bier, dann fahr' i wieder heim.

Mein' Geburtstag feiern mag ich net. Bin froh, wenn keiner dran denkt. Weihnachten bin i in meinem Zimmer, ich schau' Fernsehen. Die junge Bäuerin gibt mir 100 oder 150 Mark und ein' Teller Plätzle. Nee, einsam fühl' ich mich nicht. Ich bin glücklich. Ich freu' mich, wenn im Fernsehen was G'scheites kommt. Volksmusik, des ist meins. Wenn i morgens um fünf aufsteh', wird das Radio angeschaltet, ich hör' die Nachrichten, das Radio stell' ich ins Stallfenster, und wenn dann a Volksmusik kommt, bin ich überglücklich.

Das einzige, was ich nicht gern mag, ist die Straße kehren. Das paßt mir nicht. Wenn die mir heißen, ich soll die Straße kehren, dann hat der Frieder a Zorn. Weil sie die Straße selber kehren könnt'.

Seit zwei Jahren ist es auch in meiner Stube schön warm. Vorher hab' ich ja kein' Ofen g'habt. Da hat man kalt g'schlafen im Winter. Man hat sich a halb Liter Wasser mit ins Zimmer g'nommen, sich schnell g'waschen, dann ist man ins Bett. Im Winter sind wir so um acht fertig, im Sommer wird's später. Dann schaffen wir 15, 16 Stunden. Wenn ich abends aus dem Stall geh', sag' ich: Gut' Nacht, meine Mädi. Und wenn ich morgens reingeh', sag' ich: Guten Morgen, meine Mädi. Die Viecher spüren, daß ich sie mag. Schafe liebe ich auch sehr. Da komme ich meinem Vater nach. Wenn ich irgendwo hingeh' und ich seh' Schafe, die auf der Weide sind, sag' ich immer: Schäflein zur Linken, Freude wird winken. Wenn sie auf der rechten Seit' sind, hab' ich immer a weng Mores [Angst d. Red.]. Aber die Bäuerin will ja die Viecher forthaben. Der Stall ist für Ferienwohnungen schon ausgemessen.

Daß ich a Wunsch hätt', daß ich mir selbst a Acker kaufen könnt', so was hab' ich noch nicht gedacht. Mir gefällt dieser Hof. Die junge Bäuerin hat gesagt, solange ich da leb', darf ich bleiben. Ich bin zufrieden. Sehr zufrieden sogar. Ich hab' mei' Zigaretten, mei' Bier, meine Arbeit. Und ich hab' a Haufen Geld auf der Bank. Jetzt verdiene ich 550 Mark im Monat. Da hat sich einiges angesammelt. Der Pfarrer hat letzthin gesagt, i soll a Testament machen. Weil, sonst erben's meine G'schwister. – Ich vermach's der Frau G. Die junge Bäuerin kriegt das mal. Ich schaff', bis i nit mehr kann. Und wenn ich nit mehr kann, will ich nicht mehr da sein.

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