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Was Frau recht ist, ist Mann billig

Nils D. bewarb sich auf eine Stellenanzeige nur für Frauen und wurde abgelehnt, nun muß der Europäische Gerichtshof über eine mögliche Diskriminierung entscheiden  ■ Von Barbara Dribbusch

Berlin (taz) –Das hätten sich die Chefs der Finanzberatungsfirma U. nicht träumen lassen: Per Annonce in einer Hamburger Tageszeitung suchte das Unternehmen eine „Assistentin der Vertriebsleitung“. Als sich der 23jährige Nils D. bei der Firma bewarb, erhielt er eine Absage – und zog prompt wegen Diskriminierung vor das Arbeitsgericht Hamburg. Dieses hat den Fall jetzt dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorgelegt, denn „zur Entscheidung des Verfahrens spielt auch die Auslegung von EG-Recht eine Rolle“, berichtet der Hamburger Anwalt Klaus Bertelsmann, der den Kläger vertritt.

Daß es sich bei Nils D. um einen Mann handelt, der wegen geschlechtsspezifischer Ungleichbehandlung protestiert, ist zwar pikant, aber nur ein Detail des Verfahrens. Im Kern geht es um die hierzulande geltenden juristischen Regelungen, wonach Personen zwar unter Umständen eine Entschädigung beanspruchen können, wenn sie sich im Bewerbungsverfahren diskriminiert fühlen, der Schadensersatz aber auf drei Monatsgehälter begrenzt ist. Werden mehrere Personen benachteiligt, können sie zusammen höchstens sechs Monatsgehälter Entschädigung verlangen. Außerdem muß ein bewußtes Verschulden des Arbeitgebers vorliegen.

Zu lasch seien diese bundesdeutschen Paragraphen, findet der Kläger. Dadurch würden Schadensersatzansprüche wegen Diskriminierung im Erwerbsleben gegenüber dem sonstigen Recht unzulässig begrenzt und erschwert. Die Gleichbehandlungsrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft von 1976 verbiete aber jegliche Diskriminierung im Erwerbsleben.

Das Hamburger Arbeitsgericht folgte den Klägerargumenten plausibel und wandte sich an den EuGH. „Es bestehen gewichtige Anhaltspunkte“, daß die bundesdeutschen Regelungen „gegen zwingendes EG-Recht verstoßen“, stellten die Richter fest. Der Europäische Gerichtshof muß jetzt entscheiden, ob die Begrenzung des Schadensersatzes und das Verschuldungsprinzip überhaupt der Gleichbehandlungsrichtlinie der EG entsprechen. Wenn nicht, kann der hiesige Gesetzgeber „gezwungen sein, die Paragraphen zu ändern“, erklärt Rechtsanwalt Bertelsmann. Das wäre politisch brisant: Die Regelungen im Arbeitsrecht sind erst im Herbst 1994 durch das zweite Gleichberechtigungsgesetz in Kraft getreten.

Ob Nils D. seine beanspruchten vier Monatsgehälter Entschädigung bekommt, wäre allerdings auch durch eine positive EuGH- Entscheidung nicht sicher. Denn dazu müßte auch sein persönliches Arbeitsgerichtsverfahren für ihn positiv ausgehen. Und das ist die Frage: Kann das Finanzberatungsunternehmen nämlich nachweisen, daß andere Bewerberinnen qualifizierter waren als der 23jährige, löst sich der Diskriminierungsvorwurf in Nichts auf. Kein seltener Fall. Die meisten Bewerberinnen klagen nämlich genau deshalb nicht gegen geschlechtsdiskriminierende Stellenausschreibungen, „weil den Unternehmen am Ende eben doch irgendein Nachweis gelingt, daß sie den erfolgreichen Bewerber wegen seiner Qualifikation und nicht wegen seines Geschlechts eingestellt haben“, sagt Bertelsmann.

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