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Ein Sprachrohr für die schwule Szene

Laszlo und Gabor stellen im Abstellraum ihrer Wohnung die einzige Zeitschrift für Ungarns Schwule her – und haben es ständig mit Ressentiments aus Kirche und Gesellschaft zu tun  ■ Aus Budapest Tomas Niederberghaus

Zwei Männer in Uniform stürmen in den Flur. Sie marschieren durchs Schlafzimmer, die Küche und den Büroraum. Alles geht Schlag auf Schlag. Laszlo und sein Freund Gabor sollen die Polizisten zu einem Verhör begleiten. Die Redakteure der Schwulenzeitschrift Masok werden verdächtigt, einen jungen Mann ermordet zu haben. In der Wohnung des Opfers sei schließlich eine Masok-Ausgabe gefunden worden. Gabor bittet die unliebsamen Gäste um zwei Minuten Geduld. Im Büro greift er zum Telefon und teilt den Vorfall einem befreundeten Radiojournalisten mit. Dann verlassen vier Männer die Wohnung. Diese Szene ereignet sich 1991. Und schlägt in Ungarn hohe Wellen. Laszlo sitzt auf einem beigefarbenen Sessel. „Eigentlich“, sagt er, „ging es damals gar nicht um Gabor und mich.“ Der Staat habe das Verhör nur vorgeschoben, um seine „rosa Listen“ zu aktualisieren. Sämtliche Informationen sollten die Redakteure offenlegen: Interviewaufzeichnungen, Adressen der Abonnenten, Firmen, die in Masok werben. Rundfunk und Tageszeitungen setzten sich für Laszlo und Gabor ein. Aber noch Wochen später winkte die Polizei ab. Ein Verhör habe niemals stattgefunden.

In Ungarn gibt es nach wie vor rosa Listen. „Mit diesen Namensverzeichnissen“, sagt Lazlo, „können Schwule um Geld oder Informationen erpreßt werden.“ Seit 1991 versuchen er und Gabor mit der Zeitschrift Masok derartigen Diskriminierungen zu begegnen. Monatlich erscheinen die 50 DIN- A5-Seiten. Ein Sprachrohr also, das Homosexuelle informieren, unterhalten, ihnen aber auch helfen soll, eine positive Einstellung zur eigenen Neigung zu gewinnen. Denn Schwule werden in der Öffentlichkeit Ungarns negativ, vielfach als Opfer dargestellt; Opfer von Aids, von Verbrechen. Schwul, so der ungarische Volksmund, gleich abnormal und abnormal gleich krank.

Vor der Revolution 1989 wäre eine Schwulenzeitschrift in Ungarn undenkbar gewesen. „Daß Masok alle vier Wochen erscheint“, sagt Laszlo emphatisch, „kommt dennoch einem kleinen Wunder gleich.“ Chaotische Produktionsbedingungen. Die Redaktion in der Wohnung hat die Größe von einer Abstellkammer – was sie früher auch war. Nur wenige Zentimeter trennen die Computer voneinander. Die Wände sind 1,90 Meter hoch. Tageslicht gibt es nicht. Eine 60-Watt-Birne beleuchtet den einzigen kleinen Tisch, auf dem sich nun Skripte, Fotos, Aufzeichnungen türmen. Dazwischen lugt die Tastatur eines Faxgeräts hervor. Alle paar Minuten spuckt es neue Texte in die bereits vorhandenen Papierberge. Da für Archiv und Bücher kein Platz ist, muß das Schlafzimmer auch als Arbeitsstätte herhalten. Es dient gleichzeitig als Wohnzimmer. Und dazwischen wuselt Maci, ein zottiger Mischlingsrüde. „Wir leben von der Hand in den Mund“, sagt Gabor, „und wenn es gerade mal etwas besser läuft, bekommen wir schon wieder eins reingewürgt.“

Laszlo spielt damit auf die Kirche an. Als den Katholiken nämlich zu Ohren kam, daß in dem für sie arbeitenden Druckhaus ein Organ mit dem Titel Masok (zu deutsch etwa: andere Menschen) hergestellt wird, machten sie der Druckerei Ärger. Diese entschied sich für den Großkunden Kirche und kündigte Masok den Vertrag. Die Kosten stiegen. Laszlo und Gabor mußten den Preis für die Zeitschrift verdoppeln. Ohnehin kann das Heft nur durch die Unterstützung der schweizerischen Stiftung SHAPE existieren. Derzeit kostet es 147 Forint, etwa 2 Mark. Die Auflage liegt bei monatlich 6.000 Exemplaren. Eine andere Zeitschrift für Schwule gibt es in Ungarn nicht. – Die Katholiken waren es auch, die gegen die Kondomreklame im Fernsehen Sturm liefen. Die menschlichen Gefühle, so die Christen, würden zutiefst verletzt. Prompt verschwanden die Gummis wieder von der Bildfläche. Und nicht nur das. „Der Verband Christlicher Lehrer“, sagt Laszlo, „verhinderte die geplante Kampagne eines Kondomherstellers, in Schulen Präventionsarbeit zu leisten.“

Dabei hat der Virus auch um Ungarn, vor allem um Budapest, keinen Bogen gemacht.

440 HIV-Infektionen wurden bis einschließlich 1994 offiziell registriert. „Da sich nur wenige Leute testen lassen, dürfte die Zahl jedoch weit höher sein“, sagt Dr. Peter Bokor. Der 51jährige Arzt leitet – ehrenamtlich – eine kleine Beratungsstelle in der Karolina utca 35. Ein von außen unscheinbares, graues Gebäude. Kein Schild, kein Zeichen deutet auf HIV-Untersuchungen hin. Testpersonen befragt Bokor auch nach ihrem Sexualverhalten. Natürlich anonym. Etwa 40 Prozent schützten sich beim Geschlechtsverkehr nicht, sagt Bokor. Der Großteil der Befragten sei schwul. Seine liberale – für westliche Verhältnisse völlig gewöhnliche – Aidspolitik stößt in Kollegenkreisen auf starke Kritik: Viele Ärzte stehen hinter dem noch bestehenden Gesetz, das anonyme Aidstests verbietet. Die Kollegen fuchst es enorm, daß Bokor für das Projekt „Aids Segely“ eine einjährige Sondergenehmigung bekommen hat. „Denn seitdem“, sagt Bokor, „kassieren sie nicht mehr die üblichen Trinkgelder.“ Immer weniger Betroffene ließen sich nämlich an staatlichen Stellen testen. Obwohl ihm solche Öffentlichkeit daher nicht unbedingt recht ist, werden Bokors Auswertungen auch in Masok veröffentlicht. Mit der Redaktion steht er beruflich wie auch privat in engem Kontakt. Manchmal greift Bokor auch selbst zur Feder.

Die Themen Aids und HIV sind feste Rubriken in Masok. Laszlo beispielsweise schreibt in der April-Ausgabe über Streetworker in den türkischen Bädern Budapests. Das zuweilen wilde Männertreiben geht dort nicht gerade sehr safe zu. Schon zu kommunistischen Zeiten galten die Bäder als Tummelplatz für homoerotische Sch(l)äferstündchen. Auch für Schwule aus dem Westen. Seit der Wende suchen sie noch öfter, noch zahlreicher das phallische Vergnügen in der Donau-Metropole. Entsprechend steigen die deutschen, englischen und skandinavischen Kontaktanzeigen in Masok. „Sex ist mein Leben, und da mache ich alles mit, was Spaß und Freude bereitet“, inseriert beispielsweise der „dunkelblonde Buchhalter“ Joachim aus Schwedt.

„Nicht nur solche Kontakte, auch die Prostitution nimmt in Bädern wie beispielsweise dem Racz immer mehr zu“, sagt Laszlo. Ähnlich wie in Prag werden solvente Westfreier durch die niedrigen Preise der jungen Ostler und die ohnehin günstigen Kursverhältnisse angelockt. An der Moldau versteckt sich der schwule Sextourismus hinter historischen Altstadtfassaden und verwinkelten Gassen, an der Donau in türkischen Bädern und dem barocken Burgviertel. Allerdings, fügt Laszlo hinzu, seien noch keine tschechischen Ausmaße erreicht.

Dennoch gibt der Trend dem 38jährigen Redakteur Anlaß genug, Basisdialoge zum Umgang mit Ausländern wie das folgende Beispiel mehrsprachig zu veröffentlichen. „Ich mache nur Safer Sex“, heißt es in Masok. „Was ist das?“ lautet eine Frage, „Bumsen nur mit Kondom und nicht in den Mund abspritzen“ ist die Antwort. „Das mag sich für aufgeklärte Westler banal und selbstverständlich anhören“, sagt Gabor, „doch vielen Ungarn sind selbst die Basics nicht bekannt.“ Prävention und Aufklärung seien für die Regierung kein Thema.

Manchmal werden Artikel aus anderen Zeitschriften in Masok nachgedruckt. „Wir kommen nicht immer selbst zum Schreiben“, sagt Laszlo und zeigt auf einen Stapel ungelesener Korrekturfahnen. Das Geld sei knapp, an weiteres Personal sei nicht zu denken. Und für umgerechnet 2 Mark pro Seite ließen sich kaum freie Autoren finden. Laszlo und Gabor kümmern sich um alles: schreiben Texte, machen Interviews und Fotos, pflegen Kontakte zur Szene, betreuen die Werbeträger (fünf), lesen Bücher zur anschließenden Besprechung und versuchen, das Chaos ihres Sekretariats klein zu halten.

Gabor arbeitete früher mit Kindern. Über ihm hängt ein kunterbuntes Kunstwerk aus dieser Zeit. Die Kids haben es für ihn gemalt: Menschen werkeln mit Pferden und Karren. Am Rande steht ein grimmiger König mit Krone. „Wir halten es wie die Menschen auf dem Bild“, sagt Gabor, „wir lassen uns nicht kleinkriegen.“ Der 50jährige Journalist will es ironisch sagen, doch seine Stimme verfällt in den siegessicheren Ton eines Revoluzzers. Für die aktuelle Masok- Ausgabe hat er sich ins Zeug gelegt, er konnte Persönlichkeiten wie Janoš Kiš, den Vorsitzenden der Freien Demokratischen Partei, und andere Prominente zu einem Aufruf mobilisieren. Sie monieren ein Urteil des ungarischen Obersten Bundesgerichts, das den Antrag einer schwulen Vereinigung, offiziell anerkannt zu werden, abgewiesen hatte.

Dabei, so Laszlo, hatte schon die in den letzten Zügen liegende kommunistische Regierung 1989 ein Gesetz zur Pluralität der Parteienlandschaft verabschiedet. Damals sei es eine Lesben- und Schwulenorganisation gewesen, die den ersten Antrag zur Registrierung gestellt habe. Laszlo sagt: „Die Regierung hatte der Gruppe gleich zur Bedingung gemacht, die Aktivitäten auf medizinische Arbeiten zu beschränken.“ Vor der Wende mußten sich solche Organisationen noch als Freundeskreise tarnen. Getagt wurde irgendwo, weit weg von der Hauptstadt: im Wald und auf Wiesen, fernab ausgestreckter Zeigefinger und vorwurfsvoller Blicke.

„Larmoyante Betroffenheit wird bei uns nicht veröffentlicht“, sagt Laszlo, „wir schreiben natürlich auch über die Szene.“ Beispielsweise über die Action-Bar: einen frisch renovierten Gewölbekeller aus rotem Backstein, der alles bietet, was mann sich wünscht. Aber auch das, was mann sich nicht wünscht: Wie andere schwule Institutionen auch bekommt die Bar sporadisch ungebetenen Polizeibesuch. Ausweise werden kontrolliert. Vollständigkeitshalber. Für die rosa Listen.

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