Du verdienst eine Beförderung

■ Wegen angeblicher Denunziation Castros wurde „Alicia“ zum Tresorfilm

Genosse Cándido ist ein wunderbarer Mensch. Der sympathische Lastwagenfahrer fährt mit seiner Baseballmütze all die Dinge durch Kuba, die es eigentlich nirgends zu kaufen gibt – Käse, Wurst und andre Leckereien –, ist ein unbestechlicher Arbeiter und wird in den Propagandasendungen des kubanischen Fernsehens als „Freund aller kleinen Kinder und Pioniere“ gefeiert.

Irgendwann nur leider becirct eine schöne Frau den standhaften Mann. Er weiß nicht so recht, wie ihm geschieht. Am Ende jedenfalls steht er in Unterhosen inmitten einer Party, die die schöne Compañera mit ihren Freunden und den Lebensmitteln aus seinem Lkw veranstaltet, und wird von der Polizei wegen Veruntreuung verhaftet. Im Fernsehen lobt man ihn nun nicht mehr. Er hat das „Vertrauen aller kleinen Kinder und Pioniere verraten!“ rufen alle kleinen Kinder und Pioniere.

So wird Cándido nach Maravillas geschickt, einen kafkaesken Ort in der tiefsten Provinz, in dem Leute von ihrem „sozial auffälligen Verhalten“ kuriert werden sollen. Priester, die versehentlich mal „Scheiße!“ riefen, korrupte ehemalige Amtsträger, Leute wie Cándido, aber auch andere, die nicht so genau wissen, weshalb sie hier sind: der Direktor, der von anonymen Botschaften verfolgt ward, in denen er so lange gelobt wurde („Du bist der Beste“, „Du verdienst eine Beförderung“ – gute Idee, sollte man nachmachen!!), bis er verzweifelt, entnervt und doch irgendwie befreit ruft, er sei ein Arschloch, und die Theaterberaterin Alicia, die Heldin des Films.

Maravillas ist ein ins Absurde gesteigertes Kuba im kleinen, in dem „die Genossen vom Schweineprojekt“ mit viel Getöse die Straßen „ausbessern“ – sie hauen sinnlose Löcher in den Boden –, in dem surrealistische Fußballer demonstrierend durch die Straßen ziehen, lustig sinnentleerte Parolen über den Dorfplatz hallen („Streng dich an und schwitze – das bringt dich an die Spitze!“) und die allgegenwärtigen Lautsprecher Augen haben oder kotzen.

In einem heruntergekommenen Sanatorium mit der bezeichnenden Abkürzung „SATAN“ trinkt man vor allem Schwefelwasser und schaut sich gemeinsam lehrreiche Trickfilme an, in denen kleine Vögelchen in der Scheiße sitzen und freudig „Das Schicksal ist unabwendbar“ trällern.

Alicia erlebt Maravillas als Alptraum. Zunächst rebelliert sie, dann versucht sie zu entkommen. Auf ihrer Flucht erledigt sie den Chef des Sanatoriums, der ihr im Dark-Vader-Kostüm Paroli bieten will, mit geschickten Judogriffen.

Der Film, der 1991 beim „Internationalen Forum des Jungen Films“ erstmals gezeigt wurde, sorgte in Kuba für einigen Skandal. Besonders erregte man sich über das tödliche Ende des Sanatoriumschefs, in dem man Fidel Castro erkennen wollte. Nach vier Tagen wurde „Alicia“ jedenfalls auf „Beschluß von höchster Ebene“ abgesetzt, der Leiter des kubanischen Filminstituts wurde geschaßt, „Alicia“ wanderte in die Tresore. Lange für Auslandsvorführungen gesperrt, durfte er nur – wie vor zweieinhalb Jahren im Arsenal – mit Beteiligung des Regisseurs, den man einfliegen mußte, und anschließender Diskussion gezeigt werden.

Man fürchtete, daß „Alicia“ für „antikubanische Manifestationen“ mißbraucht werden würde. Das würde vermutlich schwerfallen. Torres' „ernstgemeinter Scherz“ geht zwar ziemlich weit, enthält sich aber jeder Denunziation einer schwierigen kubanischen Wirklichkeit, die durchaus absurde Elemente hat. „Alicia“ ist keine billige Abrechnung mit dem Inselsozialismus, sondern in erster Linie ein wunderbar lebendiger, knallbunter und äußerst komischer kubanischer Film. Mit Frauen, die so schön nur in Kuba mit ihrem Hintern wackeln. Bis heute. Detlef Kuhlbrodt

„Alicia am Ort der Wunder“ von Daniel Diaz Torres (Kuba 1991, 93 Minuten), bis Ende Juli im fsk