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God save Greg Britain

Quasi über Nacht wird England mit Greg Rusedski ein Tennisspieler beschert, der in der Lage scheint, auch gegen die Großen zu bestehen  ■ Aus Wimbledon Matti Lieske

„In welchem Land gibt es die schlechtesten Tennisspieler“, fragt der findige Wissenschaftler in jener Episode von „Monty Python's Flying Circus“, in der puddingförmige Außerirdische danach trachten, Wimbledon zu gewinnen. Die Antwort lautet: Schottland. Weshalb die Aliens alle Bewohner Englands mittels geheimnisvoller Strahlen in Schotten verwandeln. Eine relativ absurde Handlungsweise, denn die Wahrscheinlichkeit, daß ein Engländer Wimbledon gewinnt, ist seit 1936 nicht wesentlich größer als die Chance, daß ein Schotte oder ein Pudding vom anderen Ende des Universums den Titel holt. Damals gewann Fred Perry seinen dritten Titel, und seit der große alte Mann des britischen Tennis vor wenigen Monaten starb, hat England keinen lebenden Wimbledon-Sieger mehr vorzuweisen, sondern nur noch Perrys Denkmal am Haupteingang des Turniergeländes.

Später gab es zwar einen gewissen Mr. Taylor, der 1973 das Halbfinale erreichte, einen John Lloyd, der Berühmtheit vorwiegend durch seine Ehe mit Chris Evert erlangte, den tapferen Jeremy Bates, der im Viertelfinale einmal Matchball gegen John McEnroe hatte, und natürlich Andrew Foster, den das Publikum in seinem Achtelfinale vor zwei Jahren so wild anfeuerte, daß Gegner Pete Sampras den einzigen verbürgten Wutanfall seines Lebens bekam. Was ihn nicht hinderte, Match und Titel zu gewinnen.

In diesem Jahr schaffte es erstmals in der 109jährigen Geschichte der Championships keine englische Spielerin, sich regulär für das Hauptfeld zu qualifizieren, und auch bei den Männern waren sieben der zehn britischen Teilnehmer auf Wildcards angewiesen. Warum das so ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Eine Theorie besagt, daß Engländer einfach unsportlich sind. Sie erfinden zwar jede Menge Sportarten, sobald diese aber von anderen Nationen ausgeübt werden, sind jene sofort besser. Eine andere Theorie besagt, daß es mit der Nachwuchsarbeit nicht zum Besten stehe. Zwar kommt ein großer Teil der Profite des Wimbledon-Turniers, im letzten Jahr immerhin knapp 28 Millionen Pfund, den Clubs zugute, dennoch wird wenig in Talentförderung investiert. Nach wie vor ist Tennis ein relativ elitärer Sport der weißen Bevölkerung.

Golding war als Kind ein großer Fan von Boris Becker, ein englisches Tennisleitbild nämlich war lange Jahre nicht in Sicht. Das soll jetzt anders werden. Zwei Engländer haben in Wimbledon die dritte Runde erreicht, einer davon, Chris Wilkinson, weil er in Runde zwei gegen einen Schotten spielte, der andere wegen seiner Aufschlaggewalt. Chris Rusedski ist mit über 220 Stundenkilometern Aufschlag-Weltrekordler und ein freundlicher Riese, der wegen seines Dauergrinsens „The Joker“ genannt wird. Bis vor wenigen Wochen war er Kanadier. Dann verwandelte sich der 21jährige, ganz ohne außerirdische Strahlen, in einen Engländer.

„Ich fühle mich vollkommen britisch“, erklärt Rusedski – der immerhin eine Mutter aus Yorkshire und eine englische Freundin vorweisen kann – bei jeder Gelegenheit. Angesichts solch markiger Glaubensbekenntnisse adoptierte ihn das Publikum in Wimbledon auf der Stelle, auch wenn er nach seiner Engländerwerdung in der Weltrangliste folgerichtig von Platz 40 auf Platz 58 abrutschte.

Die neue Nationalität bescherte Rusedski in der 2. Runde gegen Guy Forget einen Auftritt auf dem vollbesetzten Centre Court, den er, auf überschäumenden Wogen der Begeisterung schwimmend, weidlich genoß. „Wäre er noch Kanadier, hätten wir vermutlich auf Platz 14 gespielt und die Leute wären für mich gewesen“, grantelte der Franzose, der in diesem Falle vermutlich auch gewonnen hätte. Gegen die geballte britische Übermacht auf dem Centre Court war er jedoch machtlos. Zwar gewann Forget den ersten Satz schnell mit 6:1, das Publikum wurde ziemlich still und überlegte insgeheim, ob es den abtrünnigen Kanadier vielleicht doch nicht haben mochte, doch dann brachen die ersten Aufschlageruptionen Rusedskis den Bann. Fortan wurde er vor jedem Ballwechsel heftig angefeuert, wobei sich die Ermunterung allerdings in monotonen „Come on, Greg“-Rufen erschöpfte. Nicht besonders spritzig, aber wann hätten die Leute auch üben sollen? Zu Fred Perrys Zeiten galt ungebührliches Herumbrüllen auf den Rängen schließlich noch als extrem unfein. „Das Publikum gewann das Match für mich“, sagte „Britanniens Nummer eins“, wie ihn die englischen Medien einmütig nennen, später brav, und tatsächlich wirkte Rusedski so inspiriert wie Forget eingeschüchtert. Der Franzose machte erstaunliche Volleyfehler, und vor allem in den Tiebreaks des zweiten und dritten Satzes verließen ihn die Nerven. Forgets allererster Aufschlagverlust zum 7:5 für Rusedski im vierten Satz brachte den Matchgewinn und nährte erste verschämte Hoffnungen, daß der Koloß aus Quebec vielleicht tatsächlich in Perrys Fußstapfen treten könnte.

Leidtragender der wundersamen Nationalitätsumwandlung ist der für die Plätze verantwortliche Groundsman von Wimbledon. Ihm steht beim heutigen Match gegen den Franzosen Delaitre wohl mindestens ein weiterer Auftritt „Greg Britains“ (Daily Mirror) auf dem heiligen Rasen des Centre Court bevor. Und der sah, nachdem ihn Rusedski vier Sätze lang durchpflügt hatte, stellenweise aus wie ein Erdbeerbeet.

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