: Handy-Dandy und Digi-Fick
Telefonieren in Berlin: Dreizehn Gründe dafür, warum der Handy-Dandy an der Spree nicht die soziale Anerkennung findet wie in Italien oder Frankreich ■ Von Uwe Rada
Ganz zum Schluß hat es auch der Kanzler bemerkt: Die gute Kultur – soll heißen: das Kulturgut – ist in Gefahr. Mitten in die Vorstellungsrunde für das neue Kanzleramt im Spreebogen klingelte ein Telefon, und Helmut Kohl antwortete: „Da will wohl einer geweckt werden.“ Zur größten Verwahrlosung seiner Zeit gehöre, donnerte der aufgeschreckte Bundeshelmut, daß „alle mit dem Handy rumrennen“.
Konnte man der Handvoll CB- Funker in Berlin noch mit nachsichtigem Lächeln begegnen, stellt der Handy-Dandy die schweigende Mehrheit seiner Gegner vor weitaus größere Probleme. Sollte der Kanzler etwa recht haben? Zeit genug, mit Vorurteilen aufzuräumen, Fakten auf den Tisch zu legen und das Kräfteverhältnis im digitalen Raum auszuloten:
1. Wer der Trägheit der Telecom wegen auf ein D1, D2, oder E-Plus-Gerät angewiesen ist, spricht in der Regel vom „Funktelefon“ und läßt das selbige zu Hause. Wer dagegen „Handy“ sagt, meint es auch so.
2. Jener Handy-Nutzer, der aufgrund seiner sozialen und materiellen Disposition im Milieu der Halbwelt zu verorten wäre, ist im Vergleich zum Handy-Dandy eine statistische Minderheit. Zwar bietet die mobile Kommunikation die Möglichkeit, Ort, Zeit und Handlung eines strafbaren Unternehmens unerhört auszutauschen. Der Zweck des Mobilfunks wird dabei freilich verfehlt.
3. Auch bei der BVG hat man erkannt, daß dem gläsernen Telefon die Zukunft gehört. Auf der U-Bahn-Linie 4 wollen die Verkehrsbetriebe bis 1997 die technischen Voraussetzungen hergestellt haben, um auch im Berliner Untergrund ungestört – öffentlich – telefonieren zu können.
4. Den Handy-Dandy einsam zu nennen, wäre demnach verkürzt. Er leidet nicht am Mangel an Kommunikation, sondern am Überfluß. Jederzeit bereit zu sein, ist keine Schande. Wer plaudert, zeigt, was er kann. Gleich ob Rechtsträger oder Linksträger, gilt dabei: je kleiner, desto besser. Der Handy- Dandy ist mithin ein Produkt des postsexuellen Zeitalters. Dennoch nimmt er unter den Postsexuellen eine Sonderstellung ein. Es geht ihm nicht um Macht, sondern um die öffentliche Zurschaustellung seiner Machtgier. Eine neue Spielart des Exhibitionsimus: der ungeschützte Digitalfick als höchste Form des Lustgewinns.
5. Der Handy-Dandy ist – mangels Gelegenheit – homopostsexuell.
6. Den Handy-Dandy als armes Schwein zu bezeichnen, wäre allerdings verkürzt. taz-Umfragen zufolge sind monatliche Telefon- rechnungen unter 300 Mark äußerst selten. Der Handy-Dandy, anderweitig etwas zu kurz gekommen, läßt sich zumindest den ungebremsten Datenfluß etwas kosten.
7. Anders als in Italien oder Frankreich bleibt der Handy- Dandy in Deutschland anständig. Er telefoniert weder im Opernhaus noch im Kino und schon gar nicht versucht er, im Gotteshaus den direkten Draht zum Allmächtigen herzustellen. Deshalb wird er hierzulande auch nur selten mit Handy-Verbotsschildern gemaßregelt.
8. Dennoch bleibt dem Handy- Dandy in der deutschen Hauptstadt die soziale Anerkennung versagt, die ihm im mediterranen Raum zuteil kommt. Das hat mehrere Gründe:
9. Die in kühlen Regionen vorherrschende Scheu vor dem öffentlichen Raum läßt die eher bodenständige Bewohnerschaft vor dem Gedanken ans Freilufttelefonieren erzittern.
10. Der Mehrzahl des weiblichen Geschlechts imponiert der Handy-Dandy ebensosehr wie ein Manta-Driver. Schon jetzt gilt der Blondinenwitz als out, der Handy- joke als im Kommen.
11. Des Handy-Dandys Stigmatisierung hat nichts mit der Schlagkraft seiner Gegner zu tun: Nicht nur den wertkonservativen Verlustängsten des Bundeskanzlers, auch der neoromantischen Strömung der postkommunistischen Ostalgiker bleibt die kulturelle Hegemonie versagt. Dieses, obgleich sie mit guten Gründen darauf verweisen können, daß ein Zettelkasten an der Altbautür doller menscheln als ein Handy piepen kann.
12. Auch der Versuch, dem postmodernen Datenfluß mit prähistorischen Protestkeulen beizukommen, konnte die Öffentlichkeit nicht elektrisieren. Zwar verspricht das böse Wort vom Passivtelefonieren bei der Boulevardpresse einige Schlagzeilen und auch der Gesundheitssenator hat bereits angekündigt, die Sendemästen auf den Krankenhäusern umzuknicken. Doch solange der Handy-Widerstand auf dem Niveau einer Anti-Raucher-Kampagne und mit dem Charme einer Bürgerinitiative gegen den Gehirntod daherkommt, wird sich der Unentschlossene nicht gruseln. Auch ein Politikverdrossener läßt sich schließlich nicht davon überzeugen, daß man von Passivität Krebs kriegt.
13. Der Grund für die Stigmatisierung des Mobilfunks ist vielmehr ebenso austauschbar wie seine Attraktivität beim Handy- Dandy. Das Handy ist nicht mehr rar genug, um trendy zu sein. Auch die Mode folgt dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. „Angesagt ist, was knapp ist“, sagt ein Freund, der sein Handy letztens verkaufte. „Wer läßt sich schon gerne nach Feierabend dazwischenquatschen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen