: Ein Privatleben wie Börsennachrichten
■ Lana Turner, die Platin-Queen des Melodram, ist im Alter von 75 Jahren in ihrem Haus in Century City gestorben
Ein bißchen scheint es, als sei Lana Turners hohl und düstern glitzernde Biographie eine moderne Variante des Pygmalion- Stoffes: Ursprünglich als Pin-up, dann als Puppe (pump up the volume!) entworfen, hat irgend jemand – Aphrodite, MGM, Douglas Sirk oder wer auch immer – ihr eine Art Leben eingehaucht und es dann aber so genau doch nicht wissen wollen. Bis auf einen einzigen kleinen Augenblick, ihren Zusammenbruch in Sirks „Imitation of Life“ von 1959, hatte man selten das Gefühl, sie zu Gesicht zu bekommen; dabei war ihr Privatleben von Anfang an so öffentlich wie die Börsennachrichten.
Ihr Vater hieß Virgil, wie es sich gehört, ein Loser mit Südstaatenakzent, der als Minenarbeiter und Kleinstganove von einer Zechenstadt in die nächste zog, mit jedem Ort den Namen wechselnd. Als Lana 19 war, wohnten sie gerade in der Bay Area in San Francisco, da hatte ihr Vater erstmalig nachts eine Menge Geld gewonnen. Am nächsten Morgen lag er mit einem Loch im Schädel auf der Minnesota Street.
Entdeckt wurde sie, als der Produzent/Regisseur Mervin LeRoy an einem Sozialdrama über eine Gruppe von Schwarzen in den Südstaaten arbeitete, wie man sie während des „New Deal“ sehr schätzte. LeRoy suchte nach jemandem, der „very sexy but very clean“ war. Sein Film „They Won't Forget“ geriet im Prinzip in Vergessenheit, bis auf die Szene, als eben jene 16jährige Turner sehr sauber und sehr, sehr sexy in einem engen Pulli über die Straße ging. Dann folgten die Angebote Schlag auf Schlag. Es war die Zeit von Shirley Temple, Gary Cooper, Clark Gable, Ginger Rogers. Der Platz, der zwischen ihnen noch frei war, war eben der des „sexy girl next door“, ein MGM-Produkt für die Kriegszeiten, in denen der Soldat wissen wollte, daß sein Mädchen zwar gut aussah, aber trotzdem treu zu Hause blieb. Der Sweater, ein Kleidungsstück für die kleinen Ladenmädchen, erlebte einen ungeahnten Boom.
„Lana Turner was happening“, schrieb ihr Biograph Joe Morella über jene Jahre. Das „Beverly Hills Tropics Restaurant“ erfand einen Drink für sie und nannte ihn „Untamed“. Er schmeckte nach Honolulu, Medizin und den Kopfschmerzen vom Morgen danach. „I liked the boys and the boys liked me. The gal who denies that men are exciting is either a lady with no corpuscles or a statue.“
Die Studio-Pygmalions schickten sie mit einer Gouvernante auf Dampferfahrten, die aufpaßte, daß sie nicht mit den falschen Leuten tanzte; sie gaben die richtigen Meldungen über ihre Affären und deren Ende heraus, womit sie viel zu tun hatten. Jazz-Kapellmeister Artie Shaw, Frank Sinatra, Gregson Bautzer, Tarzan Lex Barker (der jahrelang ihre Tochter Ceryl Crane sexuell mißbraucht haben soll), Tyrone Power und so weiter – man mochte das schon nicht mehr Privatleben nennen, es war mehr so eine Art öffentliche Demonstration für das, was Woody Allens Gabe in „Husbands and Wives“ sagt: „Hat mir gefallen, was du da meintest, daß das Leben nicht die Kunst imitiert, sondern schlechtes Fernsehen.“ Glanz und vor allem Elend nahmen ihren Höhepunkt 1958, als Tochter Cheryl ihren Liebhaber Jonny Stompanatos erstochen hatte, weil sie offenbar gleichermaßen Angst wie Wut darüber empfand, er könne ihrer Mutter etwas antun (statt ihr selbst?!).
Streng genommen hat die Turner in ihrem Leben drei sogenannte „gute Filme“ gemacht, die auch ihre Metamorphose vom Pin-up zum Melodram illustrieren: „The Postman Always Rings Twice“, die düstere Cain-Verfilmung aus dem Jahr 1945. In „The Bad and the Beautiful“ (1952), einem elegant aus Rückblenden zusammmengebauten Hollywood- über-Hollywood-Stück spielt sie, was sie auch ein bißchen war: ein hochgezogenes und dann verstoßenes Starlet, eine Kreation, die plötzlich zum Leben erwacht, und zwar weil das Publikum sie liebt.
Absolut unübertroffen ist sie aber, wie gesagt, in einem von Fassbinders Lieblingsfilmen: In Douglas Sirks „Imitation of Life“ (1959) ist sie eine aufstrebende Filmschauspielerin, die eine Liebe für ihre Karriere opfert. Hier kommt sie der lebenden Statue am nächsten: Festgezurrt auf Hausschuh-Pumps in blendend weißen Sauberkleidern schreitet sie praktisch blicklos durch ihr Leben. Die Gefühle, die hier wie Sahnebaiser angetrieben kommen, verweisen nur noch auf sich selbst. Daß das dicke Happy-End nicht wirkliches Glück ist, sieht man gerade an Lana Turners eisig-süßer Starre.
Mariam Niroumand
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