: Rehabilitierung zweiter Klasse
Koalition und SPD wollen die Opfer der NS-Militärjustiz entschädigt sehen, verweigern aber eine grundsätzliche Rehabilitierung / Die damaligen Urteile waren „vermutlich“ Unrecht ■ Aus Bonn Karin Nink
Gegen einen von den Regierungsparteien und der SPD ausgehandelten Kompromiß zur Entschädigung und Rehabilitierung von Opfern der NS-Militärjustiz wenden sich Betroffene: „Die blutigste juristische Verfolgung der ganzen deutschen Geschichte wird in diesem Papier verharmlost“, entsetzt sich Ludwig Baumann, Vorsitzender der „Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz“.
In dem gemeinsamen Papier von CDU/CSU, FDP und SPD werden die Bundesregierung und „die zuständigen Behörden“ aufgefordert, diejenigen, die sich der nationalsozialistischen Militärmaschinerie widersetzt haben, oder deren Hinterbliebene „alsbald“ zu entschädigen. Der interfraktionelle Kompromiß, der als rechtlich nicht bindende Erklärung im Bundestag verabschiedet werden soll, räumt Soldaten, die als Deserteure/Fahnenflüchtige, „Wehrkraftzersetzer“ oder Wehrdienstverweigerer verurteilt wurden, jedoch keinen gesetzlichen Anspruch auf Entschädigung ein.
Die Verfasser des Papiers lassen offen, nach welchen genauen Bestimmungen die Betroffenen oder ihre Angehörigen einen Anspruch auf Entschädigung haben sollen. Sie gehen lediglich von der „Vermutung“ aus, daß Urteile gegen Opfer der NS-Militärjustiz Unrecht waren. Damit verzichten sie darauf, diese Urteile, zu denen mindestens 30.000 Todesstrafen gehören, explizit als nationalsozialistisches Unrecht zu benennen. Der Bundestag soll lediglich feststellen, daß „die deutsche Militärjustiz im nationalsozialistischen Staat zu einem Terrorinstrument geworden sei, wenngleich sich Richter auch um maßvolle Urteile bemüht haben“.
Bündnis 90/Die Grünen lehnen den Kompromiß ab, weil er nicht deutlich und weitreichend genug sei. Sie vermissen zum Beispiel „die pauschale Rehabilitierung“ der heute noch vorbestraften Opfer. Geschehe dies nicht, müssten die mittlerweile alten Menschen wie bisher einzeln und in langen Vefahren dafür kämpfen, um nicht mehr als vorbestraft zu gelten. Wegen der unklaren Vorgaben sichere der Antrag weder Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) noch gleichwertige Zahlungen für den Fall, daß die Betroffenen etwa aus formellen Gründen (zum Beispiel Fristenversäumnis) von den BEG- Leistungen ausgeschlossen sind. „Wahrscheinlich haben die Betroffenen wieder nur Zugang zu den bestehenden Härtefallregelungen“, sagte der rechtspolitische Sprecher Volker Beck.
In einem Änderungsantrag fordern die Bündnisgrünen deshalb auch einen Rechtsanspruch auf gleichwertige gesetzliche Leistungen für die NS-Militärjustizopfer, die keinen Anspruch nach dem Bundesentschädigungsgesetz haben. Außerdem soll explizit festgeschrieben werden, daß Verurteilungen wegen Kriegsdienstverweigerung, Fahnenflucht (Desertion) und „Wehrkraftzersetzung“ nichtig sind. Frauen, die wegen „Wehrkraftzersetzung“ oder wegen Beihilfe zur Fahnenflucht bestraft und verurteilt wurden, sollen ebenfalls als „Opfer nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen“ anerkannt werden. Sie werden in dem Antrag nicht berücksichtigt.
Ursprünglich sollte gestern der Rechts- und Innenausschuß über die Vorlage entscheiden. Doch die Union erklärte überraschend weiteren Beratungsbedarf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen