: In Paris und den französischen Überseegebieten protestierten am Samstag Tausende gegen die Entscheidung Jacques Chiracs, die Atomtests wiederaufzunehmen. Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior II nimmt Kurs auf Mururoa. Aus Paris Dorothea Hahn
Eine Faust gegen geballte Sprengkraft
„Boykottiert Frankreich, das ist das einzige, was Chirac von den Bombentests abhalten kann“, tönt die Sekretärin. Ihre Freundin und Arbeitskollegin nennt die geplanten Atomtests im Pazifik eine „faschistoide Aktion“. Mehrere tausend Menschen folgten am Samstag nachmittag in Paris den Aufrufen von an die 60 Umweltorganisationen und Parteien zur Demonstration am „internationalen Aktionstag gegen Atomtests“. Unter ihnen alte Pazifisten und junge Linke – auch solche wie die aus der Kommunistischen Partei, die der friedlichen Nutzung der Atomenergie sonst durchaus aufgeschlossen gegenüberstehen. „Wir sind noch nicht viele“, gibt eine Demonstratin zu, „aber das hier ist nur der Anfang.“ Und die Chefin der Öko-Partei „Les Verts“, Dominique Voynet, erklärt die eher schwache Teilnahme mit dem Mangel an Information.
Auf der anderen Seite des Globus, aber immer noch in Frankreich, fand ebenfalls am Samstag und aus demselben Anlaß die größte Mobilisierung der örtlichen Geschichte statt. Über 2.000 Menschen gingen in der neukaledonischen Stadt Noumea gegen die Wiederaufnahme der Tests auf die Straße. Sie trugen Transparente auf französisch und – als Wink an ihre politischen Verbündeten in den großen Nachbarländern Australien und Neuseeland – in englisch, auf denen es hieß: „Wir sind kein Vieh“, und: „Denkt an die Zukunft der Maori-Kinder“.
Einen Tag nach der ebenfalls gigantischen Demonstration in Papeete, die zehn Prozent der tahitianischen Bevölkerung auf die Straße gebracht hatte, reagierten die Vertreter der in Paris regierenden Parteien nervös. Für Montag riefen sie ihrerseits zu einer Demonstration für die Tests auf. Paris' Vertreter auf Tahiti, der Präsident der territorialen Regierung Gaston Flosse, hatte bis zuletzt versucht, Staatspräsident Chirac die Testreihe auszureden. Nachdem dieser Versuch mißlang, hielt er sich mit Kritik an seinem neogaullistischen Parteifreund Chirac zurück und mußte zusehen, wie seine politischen Gegner von der Talini-Partei ungeahnte Menschenmengen mobilisierten. Talini-Chef Oscar Temaru arbeitet eng mit Greenpeace zusammen. Neun Monate vor den Provinzwahlen auf Tahiti ist diese Entwicklung für die Neogaullisten bedrohlich. „Besser hätte es für Oscar Temaru gar nicht kommen können“, erkennt Flosse bitter. Greenpeace hatte es nach jahrelangen vergeblichen Versuchen am Freitag zum ersten Mal geschafft, im Hafen von Papeete anzulanden. Zuvor hatten die französischen Behörden Greenpeace, deren erstes Schiff französische Geheimdienstler vor zehn Jahren in Neuseeland in die Luft sprengten, stets wie einen Staatsfeind behandelt.
Heute will die Rainbow Warrior II in Richtung Mururoa-Atoll in See stechen, um gegen die dort geplanten Atomtests zu protestieren. Mit an Bord ist außer dem Unabhängigkeitskämpfer Temaru auch der geschaßte Bischof von Evreux, Gaillot. Die Einladung der französischen Regierung an einige Greenpeace-Aktivisten, das Atomtestgebiet zu besuchen – ein Novum in der Geschichte der Beziehung zwischen Paris und Greenpeace –, kommentierten Pariser Sprecher der Organisation skeptisch: „Wir wollen keinen Tourismus auf Mururoa machen, sondern die Tests verhindern.“
Von einem Boykott französischer Produkte im Ausland hält „Les Verts“-Chefin Voynet nicht viel. Auf der Demonstration am Samstag in Paris sagte sie: „Es ist nicht unsere Aufgabe, einen Boykott zu organisieren, wiewohl ich das verstehen kann.“ Für sinnvoller als die Verweigerung französischen Käses halte sie den gezielten Boykott in die Rüstungsproduktion involvierter Unternehmen. Und noch sinnvoller wäre, so Voynet, wenn Helmut Kohl bei nächster Gelegenheit ein kritisches Wort zu den Tests sagen würde. Denn Chirac habe schon oft bewiesen, daß er auf „Mobilisierungen auf der Straße“ nicht reagiert.
„50 Jahre nach Hiroshima ist die ganze Welt gegen Atomtests“, sagt ein weißhaariger alter Kämpfer, „nur Frankreich, Großbritannien und die USA nicht.“ Wenn es nur genug Druck gäbe, würde Chirac klein beigeben, meint der alte Mann und verlangt vom Rest der Welt ein „Embargo wie das gegen Bosnien und Südafrika“.
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