: Ist der Rebellenchef ein KGB-Mann?
Im russischen Fernsehen wird weiter über die Ursachen der Geiselnahme von Budjonnowsk diskutiert / Präsident Jelzin will dauerhaft Truppen in Tschetschenien stationieren ■ Aus Moskau Barbara Kerneck
Den Verhandlungen zwischen Tschetschenen und Russen, die morgen in Grosny wiederaufgenommen werden sollten, drohten gestern Rückschläge durch militärische Scharmützel. Die russischen Truppen meldeten Überfälle von Freischärlern und den schweren Beschuß eines Postens in Grosny mit Maschinengewehren.
In Moskau unterschrieb Präsident Jelzin am Dienstag einen Ukas, demzufolge reguläre Einheiten unter dem Namen „58. Russische Armee“ in Tschetschenien stationiert werden sollen. Die tschetschenischen Unterhändler hatten sich letzte Woche lediglich mit der Stationierung von Truppen des Innenministeriums einverstanden erklärt, die eine Art Polizeifunktion versehen.
Der russische Unterhändler Arkadi Wolski berichtete unterdessen, er habe am Montag in vierstündigen Gesprächen mit Separatistenführer Dschochar Dudajew dessen Zusage erhalten, zurückzutreten, unter der Bedingung, daß Tschetschenien seine „Unabhängigkeit“ erhalte. Jelzins Befehl wird nicht nur von Dudajews Leuten als Versuch gewertet, den Status ihres Landes vor dessen Abfall von der Russischen Föderation wiederherzustellen, er steht auch im Widerspruch zum internationalen Abkommen über den Abbau konventioneller Waffen. Dem Abkommen zufolge hat Rußland kein Recht, schwere Waffen in den Nordkaukasus zu verlegen. Diese Auflage war von den russischen Militärs häufig als „ungerecht“ bezeichnet worden. Die Ankündigung Jelzins nährte zugleich Gerüchte über einen weiteren Aufstieg Pawel Gratschows. Der Verteidigungsminister mimte angesichts des Geschehens von Budjonnowsk den Unbeteiligten – und wurde im Unterschied zu den anderen Machtministern nicht entlassen.
In der Fernsehsendung des Ersten russischen Programms, „Versionen“, stellte am Montag abend Moderator Sergej Doronenko jedoch die Frage, ob nicht Gratschow den Anschlag sogar begünstigt haben könnte. In einem aufsehenerregenden Interview erklärte ihm dazu der Pressesprecher des Geheimdienstes FSB, Alexander Michajlow, daß seine Behörde eine Woche vor dem Überfall alle zuständigen Behörden vor Ort zweimal telegrafisch gewarnt und aufgefordert habe, die Straßen zu sperren, um die Durchfahrt tschetschenischer Kämpfer zu verhindern. Verrat wollte Michajlow allerdings niemandem unterstellen. Als Ursache für das Versagen der Zuständigen bezeichnete er „patriarchalische Selbstzufriedenheit“.
Die Vermutung, der Überfall Schamil Bassajews sei vom Verteidigungsministerium begünstigt worden, stützte der Moderator auf die Vergangenheit des techetschenischen Freischärlers. Dessen Einheit gewann ihre Schlagkraft im bewaffneten Konflikt zwischen Georgien und Abchasien. Sie vertrieb die georgischen Truppen aus Suchumi. Bassajews Leute über russisches Gebiet nach Abchasien zu schmuggeln und sie dort zu bewaffnen, dazu war nach Ansicht von Fachleuten nur der damalige KGB in der Lage. FSB-Sprecher Michajlow wollte nichts davon wissen, daß die Geheimdienste im Falle Budjonnowsk gegeneinander arbeiteten. Er bestätigte aber, daß Bassajew unter Moskaus Anleitung zum Terroristen wurde: „Bassajew, das ist eine Panne aller Macht-Minister.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen