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Der Reißwolf wartet schon

■ Die Angst der Künstler vor dem Kommerz: Die Reichstagshülle endet zershreddert als "Geofliese" unterm Gartenteich / "Den Souvenirjägern keine Chance"

Ruhig schlafen werden Christo und Jeanne-Claude erst wieder in einigen Wochen. Denn nach dem Streß der Reichstagsverhüllung raubt nun ein furchtbarer Gedanke dem Künstlerpaar die Ruhe: Ihre Kunst, ihre reine Kunst, könne nachträglich doch noch zu Kommerz verkommen. Objekt der Begierde ist der Stoff, aus dem die Reichstagsträume waren. Mit den Hinterlassenschaften der Verhüllung wollen viele einen großen Coup landen. Doch Christo bleibt eisern: Kein Quadratzentimeter der Plane soll als Kunstobjekt verehrt werden – alles, noch das letzte Fitzelchen, kommt in den Reißwolf.

Der steht, bereits getestet, im münsterländischen Gronau. Dort will die Firma „E.S Recycling“ die blauen Kordeln und die 110.000 Quadratmeter aluminiumbedampfter Polypropylenplane zerschneiden, zerreißen, zershreddern, zerfasern, bis nur noch Kunstwolle übrigbleibt. Die wiederum wird zu „Geofliesen“ wiederverwertet, mit denen Gartenteiche oder Mülldeponien unterlegt werden können. Ursprünglich sollte die Hülle zu Teppichboden verarbeitet werden, doch die panische Angst von Christo und Jeanne-Claude vor einem Devotionalienhandel mit Reichstags- Teppich ließ diesen Plan platzen.

War schon die Produktion und Anlieferung der Silberhülle ein geheimes Unternehmen, wird der Abtransport des Stoffes erst recht ein Sicherheitsproblem. Wenn ab heute die Kletterer am Reichstag die Hülle wieder einpacken, werden die Bauzäune das souvenirhungrige Volk auf Distanz halten. Für die Zuschauer gab es schließlich die Stoffetzen, doch diese Gaben sind aufgebraucht und damit basta!, beschloß das Künstlerpaar. Auf Sattelschleppern verpackt, auf geheimen Routen und nach einem geheimen Terminplan sollen die 60 Tonnen Stoff so schnell wie möglich und unter Bewachung nach Münster gekarrt werden. „Keine Chance den Souvenirjägern!“ ist die Maxime.

Denn von denen gibt es viele. Die kleinen Fische unter ihnen rückten schon während der Verhüllung dem Stoff mit der Schere zu Leibe. Die großen Tiere unter den Verhüllungsfans machten gutbezahlte Angebote: Etwa 40 Anfragen zum Kauf des Stoffes gibt es laut „Verhüllter Reichstag GmbH“: Da ist der Fernsehsender, der sein Studio mit der Hülle verkleiden wollte oder die Firma, die daraus Plastiksteine für Kopfsteinpflaster machen wollte. Ein Theater hätte gern einen Vorhang aus Christo-Stoff, eine Kette von Pommesbuden will aus dem Gewebe Tischdecken schneidern lassen, ein Tennisplatz die Hülle als Windschutz einsetzen. Eine Firma aus Bottrop wiederum will die Silberhülle zu Zelten machen, um diese zu den Olympischen Spielen nach Atlanta zu liefern.

All dies findet vor den Augen von Christo und Jeanne-Claude, die schon erfolgreich die Freßbuden und fliegenden Händler vom Reichstag vertrieben haben, keine Gnade. Sie haben darauf bestanden, daß „die Hülle dem Kunstkreislauf entzogen wird“. Nichts soll als „Made by Christo“ erkennbar sein – gute Bedingungen also für Fälschungen mit Echtheitszertifikat. Bernhard Pötter

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