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Das giftige Erbe des „Berliner Blaus“

Berliner Ökobilanz – Teil 2: Die Altlasten im Boden / Streit zwischen Senat und Treuhand-Nachfolgern verzögert die Sanierung des verseuchten Erdreichs / Bodenwaschanlagen sind nicht ausgelastet  ■ Von Hannes Koch

Die Manager von Daimler- Benz InterServices (debis) haben wieder einmal Glück gehabt. Bei der Sanierung ihres Grundstückes am Potsdamer Platz, auf dem gegenwärtig der neue Firmensitz gebaut wird, spart die Tochter des größten deutschen Industriekonzerns rund 8,5 Millionen Mark. Das Geld kommt statt dessen aus den Kassen des Senats. Im 1990 geschlossenen Kaufvertrag für die zentral gelegene Immobilie nämlich wurde das finanzielle Risiko für die Beseitigung der damals nicht bekannten im Erdreich schlummernden Altlasten aufgeteilt. Die debis als Käuferin muß demnach maximal eine Million Mark bezahlen. Der Rest geht zu Lasten des Senats.

Heute kennt man die Altlasten. Gutachter im Auftrag von Daimler-Benz haben eine „flächendeckende Kontamination mit Schwermetallen und polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen“ ermittelt. Überreste aus dem Zweiten Weltkrieg. Einem Bericht von Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) an das Abgeordnetenhaus zufolge belaufen sich die Kosten für die Reinigung und Deponierung des Bodens auf geschätzte 9,5 Millionen Mark. 8,5 davon wird gemäß Kaufvertrag das Land Berlin aufbringen – nach dem niedrigen Immobilienpreis und dem Erlaß der Stellplatzabgabe für Autos eine weitere finanzielle Zuwendung an die debis zur Belohnung für ihr Engagement am Potsdamer Platz. Trotzdem ist dieser Fall ein positives Beispiel für den Umgang mit Chemie-Altlasten in Berlin. Weil die Vertragsparteien die Finanzierungsfrage eindeutig regelten, wird der Dreck immerhin abtransportiert und unschädlich gemacht. Das ist meist nicht so. In aller Regel streitet sich der Senat mit den Nachfolgegesellschaften der Treuhand oder privaten Eigentümern erbittert um die Kosten, was die Sanierung verzögert. Der weitaus größte Teil der etwa 4.500 bis 5.000 belasteten Grundstücke harrt unter anderem deshalb weiter der Reinigung.

Mit der bislang ausgeschachteten debis-Erde vom Potsdamer Platz verfuhr man anders: Während wenig belasteter Boden auf eine Deponie gefahren wurde, kamen rund 9.000 Tonnen mit stärkerer Verunreinigung in eine der vier Berliner Bodenreinigungsanlagen. Bei der Anwendungsgesellschaft für Umweltschutztechniken, AFU, an der Schnellerstraße im Bezirk Treptow wurde das kontaminierte Erdreich mit einem aufwendigen Verfahren gewaschen. AFU-Prokurist Detlef Heise erläutert: Es komme darauf an, Steine und Sandkörner von den Chemikalien zu befreien, die sich an deren Oberfläche angesetzt haben. Die Trennung von Chemikalien und Gestein sei durch mechanische Krafteinwirkung, zum Beispiel mittels eines harten Wasserstrahls, möglich. Im Hochdruckstrahlrohr, einer von der Außenwelt abgeschlossenen Reaktionskammer der Bodenwaschanlage, prallen aus sechs Düsen Wasserstrahlen auf die verunreinigte Erde. Der Druck des Wassers ist dabei enorm: Er beträgt bis zu 250 Bar. „Der Wasserstrahl könnte eine Betonwand durchschlagen“, sagt AFU-Mitarbeiter Heise. Zum Vergleich: Ein normaler Autoreifen hat einen Druck von 2 Bar.

Mit diesem Reinigungsverfahren gelingt es, 70 bis 90 Prozent des angelieferten Materials zu recyceln. Kies und Sand werden danach an die Bauindustrie etwa als Material für den Straßenbau abgegeben. Als wesentlicher Nutzen der Bodenwaschung gilt, daß die Menge des vergifteten Bodens, der auf Deponien endgelagert werden muß, wesentlich reduziert werden kann. Die chemiehaltigen Reste des Erdreichs wandern auf die Brandenburger Deponien Schöneiche und Vorketzin.

Die Anlage an der Schnellerstraße finanziert sich, indem sie den Lieferanten des kontaminierten Erdreichs zwischen 180 und 300 Mark Reinigungskosten pro Tonne in Rechnung stellt. Die Abgabe des gereinigten Materials an die Bauindustrie erfolgt kostenlos. Daß nicht die gesamte Menge des Bodens vom Potsdamer Platz zur Bodenwaschung gebracht wurde, hat seinen Grund darin, daß die direkte Endlagerung von gering belasteten Böden wesentlich billiger ist als die Aufarbeitung.

Die Bodenwaschanlage in Treptow arbeitet inmitten eines der größten Altlastengebiete Berlins. Neben den Betriebsgebäuden der AFU wurden seit 1870 Farbstoffe hergestellt, darunter das bekannte „Berliner Blau“. „Wir stehen hier auf einer einzigen Farbhalde“, meint Detlef Heise. Bis in mehrere Meter Tiefe ist der Boden mit dem Blausäuresalz Zyanid sowie mit Arsen, Quecksilber und Schwerölrückständen belastet. Am Ufer der Spree erhebt sich ein zehn Meter hoher künstlicher Berg – aufgeschüttete Giftrückstände der Farbenproduktion. Wer den Hügel erklimmt, so das Gerücht, werde mit grünlich verfärbten Schuhen wieder herabsteigen. Das vom Senat und den Treuhand-Nachfolgegesellschaften vereinbarte Großprojekt zur Altlastensanierung dehnt sich jedoch noch weit über das Areal der ehemaligen Farbwerke, zu DDR-Zeiten VEB Kali-Chemie genannt, hinaus: Westlich der Spree schließen sich im Süden die alten Industrieareale von Niederschöneweide, Adlershof und Johannisthal, östlich Oberschöneweide und Wuhlheide an.

Von der Identifikation der verseuchten Flächen einmal abgesehen, schreitet die Sanierung allerdings nur langsam voran. Zwar sind auf dem Gelände des früheren VEB Berlin-Chemie Adlershof Reinigungsarbeiten im Gange, die jahrzehntelang in den Teltowkanal gespülten Giftschlämme werden ausgebaggert und das Wasserwerk Johannisthal wurde mit Abwehrbrunnen gegen verunreinigtes Grundwasser gesichert, doch die größten Flächen rührte man bislang nicht an. Der Grund: Lange Zeit konnten sich die Senatsumweltverwaltung und die Bundesanstalt für Vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, wie eine der vier Treuhand-Nachfolgerinnen jetzt heißt, nicht über die Finanzierung der Aufarbeitung einigen. Zwar ist die Verteilung der Kosten juristisch eindeutig geregelt: Die neuen Privateigentümer bezahlen zehn Prozent, die verbleibende Summe teilen sich Bundesanstalt und Senat im Verhältnis 75 zu 25 Prozent. Doch der daraus resultierende Konflikt liegt auf der Hand: Auf welchen Betrag beziffern die beiden Streithähne die öffentlich zu finanzierende Sanierung? Mittlerweile habe man sich „im Prinzip“ auf 50 Millionen Mark geeinigt, erklärt Jens Naumann, der das Großprojekt für die Umweltverwaltung betreut. Er hofft, die bereits gebohrten, aber noch nicht in Betrieb genommenen Abwehrbrunnen auf dem Gelände der früheren Kali-Chemie, die das Wasserwerk Johannisthal schützen sollen, bald in Gang setzen und die Aufarbeitung vergifteten Bodens in Auftrag geben zu können.

Ironie der Altlastensanierung: Die Bodenwaschanlage der AFU steht zwar auf einer gigantischen Altlast, doch infolge der langen Verzögerung konnte bislang nur wenig Erdreich aus dem Südosten Berlins gereinigt werden. Fast sehnsüchtig blickt Detlef Heise hinüber zum Farbberg der Kali- Chemie: „Das schönste wäre, wenn wir die Halde beseitigen dürften.“ Ob jemals und, vor allem, wann dafür ein Auftrag kommt, steht in den Sternen. Um sich wirtschaftlich über Wasser zu halten, verarbeitet die Sanierungsfirma heute Altlasten aus allen Teilen der Bundesrepublik. Trotzdem ist ihre Kapazität nicht ausgelastet. Ähnlich sieht es bei den übrigen drei Bodenreinigungsanlagen in Berlin aus, die in Tiergarten, Neukölln und Köpenick stehen. Während die vier Unternehmen insgesamt rund 250.000 Tonnen pro Jahr verarbeiten könnten, behandeln sie wegen Auftragsmangels nur 100.000 Tonnen.

Doch die Auseinandersetzung zwischen den Eigentümern und den verschiedenen öffentlichen Stellen ist nur ein Grund für die unbefriedigende Altlastensituation. Der andere liegt in der Sorglosigkeit, mit der die Unternehmen seit Beginn der Industrialisierung im vergangenen Jahrhundert ihre Giftstoffe in die Umwelt kippten. Wollte man die Altlasten im Berliner Boden vollständig beseitigen, entstünden Kosten von bis zu 10 Milliarden Mark. Selbst bei gutem Willen lassen sich diese Summen von keinem der Beteiligten während der nächsten 20 bis 30 Jahre aufbringen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz kann mit ihren rund 50 Millionen Mark jährlichen Sanierungsmitteln nur die gefährlichsten Altlasten kontrollieren und einige davon schrittweise beseitigen. Etwa zehn Prozent der bis zu 5.000 Verdachtsflächen sind bislang saniert worden. Bei vielen belasteten Grundstücken hofft man schlicht darauf, daß die verborgenen Gifte ruhig im Boden liegenbleiben und nicht ins Grundwasser geraten.

In einer Woche: Streß in der Stadt

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