Archaik versus Maßstäblichkeit

■ Der Entwurf für das Holocaust-Denkmal sorgt weiterhin für Streit / Bürger, Künstler und Politiker diskutieren kontrovers

Eine klare Linie fehlt: Die Meinungen der etwa zwanzig Berliner, die gestern auf den verschmutzten Platz an der Behren- Ecke Ebertstraße gekommen waren, wo das Holocaust-Denkmal einmal stehen soll, gingen ebenso auseinander, wie die von Politikern, Initiatoren und Künstlern. Während die einen betonten, daß es nach fünfzig Jahren mehr als überfällig sei, der in Europa ermordeten Juden zu gedenken, und die Entscheidung der Jury zu akzeptieren sei, vertraten andere den Standpunkt, daß man angesichts der Vielzahl an Gedenkorten in Berlin auf die 160 mal 140 Meter große Namensplatte verzichten könne.

Die trapezförmige Platte müsse diese Größe haben, sagte deren Urheberin, die Malerin Christine Jackob-Marks, in der vom SFB aufgezeichneten Sendung „Berlin life“, um die Namen der 4,2 Millionen jüdischen Holocaust-Opfer und die Vernichtungsorte einzugravieren. Hauptanliegen sei gewesen, den Holocaust „in eine lesbare Form zu bringen“, fügte die Architektin Hella Rolfes, die zur Künstlergruppe um Jackob-Marks gehört, hinzu. „Wir wollten etwas Archaisches schaffen, was nicht zerstörbar ist“, sagte Jackob- Marks weiter. „Das ist kein menschliches Maß mehr“, widersprach ihr ein Mann aus dem Publikum, der sich wie Bundeskanzler Helmut Kohl und Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen besonders an der „Gigantomanie“ stört.

„Es kann gar nicht groß genug sein angesichts der Millionen ermordeten Juden“, sagte ein anderer Mann. Doch anstelle der großen Platte solle man doch eine Stele aufstellen. Daraufhin begann Bausenator Wolfgang Nagel, der eine kleine Musterplatte mit einigen der acht Millimeter großen Gravuren mitgebracht hatte, zu rechnen und verkündete: Um die 4,2 Millionen Namen auf einer Stele unterzubringen, müßte diese bei einer Breite von sieben Metern sechs Kilometer hoch sein.

Der kulturpolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen machte aus seiner Ablehnung des Entwurfs keinen Hehl. „Mit so einem wuchtigen Entwurf wird das Erinnern gleich mit begraben“, sagte Albrecht Eckert. Außerdem könne es nicht sein, Geld für die Errichtung eines Holocaust-Denkmals auszugeben und gleichzeitig mitansehen zu müssen, wie KZ- Gedenkstätten aus Geldmangel verfielen. Ein Vergleich, den sich Lea Rosh verbat: Es sei „ganz unglücklich, das aufzurechnen“.

Christine Jackob-Marks zeigte sich von der Kritik an der Monumentalität ihres Entwurfs wenig beeindruckt. Hinsichtlich der Größe der Namensplatte sei sie „weniger“ zu Kompromissen bereit, stellte sie klar. „Aber sicher gibt es Möglichkeiten, das eine oder andere in der Höhe zu verändern“, fügte sie hinzu und schaffte es endlich, die olle Mullbinde, die direkt unter dem Sendetisch lag, vom Schuhabsatz zu kratzen. Barbara Bollwahn