piwik no script img

Die Wahrheit des Materials

Mutante Werkstoffe: Eine Ausstellung im New Yorker MoMA zeigt, wie im Design Konstruktion und Idee zunehmend von Forschung und technischen Experimenten ersetzt werden  ■ Von Stefan Matzig

Industrie- und Produktdesign ist nicht unbedingt jedermanns Sache. Eine eher trockene Disziplin. Über Glasbausteine, Nußknacker und Schwimmflossen macht man sich keine Gedanken. Sie sind entweder da oder auch nicht – oder unbrauchbar. Nur der letzte Fall ermuntert manchmal, genauer auf die Banalitäten des Alltags zu sehen und sich zu fragen: Was haben die sich eigentlich dabei gedacht? Wo gibt's denn so was?

Die Frage nach dem Material stellt gegenwärtig die Ausstellung „Mutant Materials in Contemporary Design“ im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA). Zum Beispiel im Falle der Salz- und Pfefferstreuer des Japaners Ishiguro, die wie überdimensionale Makkaroni aussehen. Tatsächlich sind sie aus dem Rohstoff Reis auf die gleiche Weise wie Pasta hergestellt. Die meisten Nahrungsmittel sind ohnehin nichts anderes als Rohstoffe für Produkte des Food- Designs, komponiert und modelliert wie die Pommes mit den hübsch gleichmäßig gerippten Rändern. Warum also die zum Rohstoff umdefinierten Lebensmittel nicht auch zur Herstellung anderer Waren einsetzen?

Neben der Suche nach neuen Materialien widmet sich die Ausstellung aber hauptsächlich neuen Techniken, die die Eigenschaften bekannter Materialien verbessern, erweitern und modifizieren und die zum Teil erstaunliche Auswirkungen haben. Frank Gehrys Lehnstuhl aus massiven, aber unglaublich gebogenen, kreuzweise geflochtenen Ahornlatten, benötigt weder Nägel noch Leim; Plastik, transparent wie Glas oder metallisch wie Aluminium; Stahl mit Carbon-Fiber, auf das Zehnfache seiner ursprünglichen Länge gedehnt; Holz, heiß auf eine Stoff/ Schaum-Unterlage gepreßt, wird weich wie eine Polsterung, was sich Marco Ferreri für seinen minimalistischen „Less“-Stuhl zunutze macht.

Diese irrealen Materialien, die nur noch von ferne an ihre Herkunft erinnern, haben wie die gebundene, gegossene und getrocknete Reispampe „moderne“ Eigenschaften: sie sind dauerhaft, elastisch, anpassungsfähig, ungefährlich und wiederverwertbar beziehungsweise biologisch abbaubar. Vor allem: sie addieren charakterlos die Eigenschaften der Materialien, aus denen sie bestehen, oder sie haben überraschende neue. Sie sind mutant.

Wie wenig Design noch mit den Unabänderlichkeiten des Materials zu kämpfen hat, zeigt sich am besten an einem Gimmick von Mark Sanders, dem „Kein-Spritzer-mehr-Gemüsebrett“. Das schneidfeste Polypropylen-Brett liegt beim Zwiebelhacken hart und flach auf der Anrichte und ist nichts anderes als eine biedere Unterlage. Erst auf dem Weg Richtung Pfanne macht sich der Unterschied zum weithin für unverbesserbar gehaltenen Gewohnheitsbrettchen bemerkbar, wenn nämlich das eine oder andere Zwiebelchen daneben geht und knapp neben der heißen Elektroplatte stinkend verbrennt. Ganz anders bei dem Space-Brett von Mark Sanders: Über der Pfanne läßt es sich an den Seiten – plötzlich elastisch – hochklappen, die Zwiebelteile rutschen zielgenau ins brutzelnde Fett.

Fünf Jahre haben Forschung und Computerdesign für die Entwicklung des Präzisionsbrettchens in Anspruch genommen. Zweck oder Ästhetik spielen nur die zweite Rolle, was nicht heißen soll, daß das Teil unpraktisch oder unschön ist; aber Nonplusultra ist die Technik: Werkstoffforschung und Experiment ersetzen Idee und Konstruktion.

Dementsprechend definiert die Kuratorin der MoMA-Ausstellung, Paola Antonelli, „Design“ nicht ästhetisch, sondern pragmatisch: „Design ist der Versuch, das ideale Objekt zu schaffen mit den verfügbaren Materialien und Techniken.“ Parallel dazu vertreten die meisten ausgestellten Objekte wie die Nike-Schuhe mit ihren Air-Schuhsohlen oder die Logitech-Mäuse eine Ästhetik, die sich hauptsächlich auf kontinuierliche Forschung, Ökonomie und Vermarktbarkeit konzentriert. Feste Größen wie praktische Anforderungen, Kundenkreis oder projektierte Gewinnspannen haben die akademischen Designerideale Abstraktion, Funktionalität, Universalität und Verfügbarkeit, die das Bauhaus vor allem in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg mit Erfolg proklamiert hatte, abgelöst.

Das Material selbst ist keine Hürde mehr bei der Erfüllung der Erwartungen an das Produkt. Als Mutante, das heißt in Art und Eigenschaften frei und flexibel komponierbar, wird das Material im Labor entwickelt und hergestellt, dem Produkt und seinem Markt entsprechend. Das Projekt definiert die mutanten Materialien und ihre Eigenschaften.

Paola Antonelli folgert daraus, daß „die Wahrheit des Materials nicht mehr ein absolutes Muß für Design“ ist. Hatten die Designerväter am Bauhaus und Ideologen der Moderne, die dem Expressionismus entwachsen waren, noch an die Wahrheit von Stahl und Glas und seine Symbolkraft geglaubt, so haben die Zeitgenossen die Nüchternheit von Ingenieuren. Nicht nur die Ideale der Moderne sind keine Referenzpunkte mehr, sondern auch das Steckenpferd der Moderne, die Methode, ist dem Trial-and-error der Versuchslabors gewichen. Die Modernen wollen das ideale Objekt entlang vorgegebener Materialeigenschaften entwickeln; sie hatten den Designer in den Mittelpunkt des kreativen Prozesses gestellt und ihn zum Künstler erklärt; seine Idee war der Schlüssel zum „sinnvollen“ Einsatz des Materials. Die mutanten Materialien und ihre grenzenlosen Möglichkeiten erweitern zweifellos die Freiheiten des Designers, aber die Schlüssel zur Realisierung einer Designidee liegen nunmehr bei Technologie und Wissenschaft. Nicht nur die Ideale des Bauhauses sind abgeschafft, bei dieser Art von Design ist sogar die Postmoderne vorüber: Das Material hat gegenüber dem Designer eine aktive Rolle übernommen.

Gleichzeitig ist es im Begriff, sich zu verflüchtigen. Dies um so mehr, je weniger das Material und seine Eigenschaften im gewohnten Sinne übereinstimmen, je variabler die Einsatzmöglichkeiten des Stoffes sind und – je umweltverträglicher es ist. Angesichts der Forderungen nach Wiederverwertbarkeit oder Entsorgbarkeit ist jedes Objekt schon bei seiner Produktion Abfall. Per Definition ist nichts für die Ewigkeit. Zeitgenössisches Design, das sich diese Definition zu eigen macht, integriert die Materialien in den Kreislauf zwischen Rohstoff und Abfall. Es zirkulieren nicht nur Kapital und Informationen, sondern auch die Materie.

„Mutant Materials in Contemporary Design“. Bis zum 27. 8. im MoMA, New York. Katalog, 128 Seiten, $ 24,95

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen