: Computernetz gegen Polizeinetz
■ Per E-mail kommuniziert heute die Friedensbewegung in Ex-Jugoslawien
Eines zeigt sich im ehemaligen Jugoslawien ganz deutlich. Der schwer kontrollierbare Computer ersetzt in repressiven Regimes immer mehr die traditionellen Medien als Kommunikationsmittel für die Opposition. In Serbien heißt das: „Zamir“ hält die politisch Interessierten besser auf dem laufenden, als es kritische Zeitungen tun könnten. „Zamir“, deutsch „für Frieden“, ist ein Mailbox-Verbund: zehn über Telefonleitungen verbundene Computer, die in allen Teilen Ex-Jugoslawiens stehen.
Allein diese Computer-Verknüpfung machte es vor drei Jahren mit Beginn des Projektes möglich, die Kommunikation unter „Andersdenkenden“, unter Kriegsgegnern und Oppositionellen, zu gewährleisten, obwohl die meisten Telefonverbindungen zwischen den einzelnen Republiken als erstes gekappt wurden.
Im Fall der Zwangsmobilisierung in Rest-Jugoslawien zeigt „Zamir“ zur Zeit wieder seine Stärke: Eine der ersten Meldungen über die Flüchtlings-Mobilisierung kam vom feministischen „SOS Hilferuf“ aus Belgrad. Innerhalb kürzester Zeit waren alle wichtigen Antikriegsorganisationen im früheren Jugoslawien über diesen Vorgang informiert. Viel wichtiger noch: Die Gruppen in Rest-Jugoslawien können Menschen warnen, bevor die Polizei kommt.
Nachrichten kommen aus Belgrad oder Novi Sad in Serbien, aus Tuzla und Sarajevo in Bosnien, aus der kroatischen Hauptstadt Zagreb und anderen Orten in Ex-Jugoslawien. Alle Informationen, die die verschiedenen „user“ (Benutzer) einspielen, sind auf „Zamir“ abrufbar: So schaltete sich schon einen Tag nach der ersten „SOS“- Nachricht die Friedensgruppe „Frauen in Schwarz“ aus Belgrad ein. Ihre Mitglieder verschicken über „Zamir“ weitere Details auf das Brett APC/YUGO/ANTIWAR, das auch über das Internet weltweit zu beziehen ist.
Die Informationen, die sich so im Laufe der Wochen angehäuft haben, gehen in den Megabite-Bereich. Ein 14.000 Baud-Modem braucht zur Zeit Minuten, bis die Post in Zagreb abgeholt ist. So konnten sich auch im Falle der Massenmobilisierungen in Serbien sowohl die „Antikriegskampagnen“ im kroatischen Zagreb, mehrere Gruppen in Tuzla und Sarajevo und viele Einzelpersonen schnell gegenseitig informieren und Proteste organisieren.
Gleichzeitig liefern Nachrichtenüberblicke von etablierten Agenturen wie Reuter oder AP und von unabhängigen Diensten ständig neue Informationen.
Daß es so viele Nachrichten gab und gibt, hängt in erster Linie an einem strukturellen Vorteil der Kommunikation über „E-mail“. Jeder User, der Daten in das Netz einspielt, hinterläßt nämlich eine Adresse. Nachfragen werden zum Beispiel bei dem Programm „Crosspoint“, das die User der „Zamir“-Boxen benutzen, kinderleicht: Nach dem Lesen der Nachricht muß nur „B“ für Brief gedrückt, und natürlich etwas geschrieben werden. Frank Hofmann/Rüdiger Rossig
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen