: Meditationen an der Ampel
■ Wall-Kreuzung lädt FußgängerInnen zum Verweilen ein
„An dieser Ampel steht man sich die Beine in den Bauch“, das ist das einhellige Urteil der wartenden Fußgängerhorde an der Straßenkreuzung Herdentorsteinweg/Am Wall. Ganze 70 Sekunden dauert es, bis die Ampel endlich auf grün umschaltet, beklagt Angelika Schlansky vom Bremer „Fußgängerschutzverein Fuß e.V.“ die Misere. Wie Untersuchungen zeigen, reißt der Geduldsfaden vieler Leute bereits nach 30 Sekunden müßigen Wartens und sie überqueren bei Rot die Staße – der Konflikt mit den Autofahrern ist vorprogrammiert.
Grund genug für den Verein, mit einer einstündigen Aktion vergangenen Sonnabend auf den Mißstand aufmerksam zu machen: Mit Flugblättern versorgt, kamen Passanten, die sie es sich für 70 Sekunden auf den vereinseigenen Stühlen bequem gemacht hatten, in den Genuß von klassischer Musik, mit der die Kreuzung beschallt wurde. Zu einer meditativen Oase konnte der Verkehrsknotenpunkt zwar nicht transformiert werden, aber immerhin konnte man die Aufmerksamkeit aller VerkehrsteilnehmerInnen und die zustimmenden Kommentare vieler FußgängerInnen erregen.
Doch nicht nur an Aktionstagen regt sich bei den unmotorisierten VerkehrsteilnehmerInnen der Protest: „Das ist doch total fußgängerunfreundlich geschaltet“ meint beispielsweise der Postangestellte Mario Augustino, der die Kreuzung zwar nicht tagtäglich überqueren muß, sich jedoch immer wieder auch über die viel zu kurze Grünphase ärgert. Dieser Meinung kann sich Roland Erzmann, Elektromobilfahrer und schwerbehindert, nur anschließen: Nicht selten habe er Mühe, schnell genug die andere Straßenseite zu erreichen. Verständnis hat er jedoch auch für die Belange der Autofahrer, die sich bei fußgängergerechter Verkehrsgestaltung nur allzuoft im Stau wiederfinden könnten, „und das ist ja schließlich schlecht für uns alle“, meint er. Im Stau stehen möchte auch der neuerdings dienstlich fahrradfahrende Polizeibeamte Michael Hellweg nicht: „Als Fahrradfahrer sehe ich schon, daß die Stadt zugunsten der Autofahrer geplant ist, aber als Autofahrer freue ich mich natürlich über grüne Welle“.
Tatsächlich „kommt es wohl auf den Blickwinkel an“, wie Reiner Imholze, Sprecher des Bausenators bestätigt. „Unser Ziel ist es doch auch, die Kooperation zwischen allen Verkehrsteilnehmern herzustellen“, wobei man es grundsätzlich sicher nicht allen recht machen könne. Dabei hatte es schon einmal Vorschläge gegeben, die Kreuzung Herdentorsteinweg/Am Wall zu einer „Diagonalkreuzung“ umzuwandeln. Vor allem in Japan gibt es bisher Regelungen dieser Art: Dort bekommen Fußgänger an allen vier Kreuzungsecken gleichtzeitig grünes Licht. Aber da ist sowieso alles anders.
rem
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