: Indianer mit Imageproblemen
Brasilianische Indianer geraten unter Beschuß, weil sie Kleinbauern Land wegnähmen und zudem den Regenwald nicht schützten ■ Von Astrid Prange
Rio de Janeiro (taz) – Brasiliens Indianern geht es besser. Professionelle Organisation und Interessenvertretung verhalfen den Ureinwohnern des größten lateinamerikanischen Landes zu beeindruckenden Erfolgen beim Kampf um die Abgrenzung ihrer traditionellen Lebensgebiete. Nach jahrzehntelangem Bevölkerungsschwund nimmt die Zahl der indigenen Brasilianer wieder zu: von 150.000 Menschen vor vierzig Jahren jetzt auf ungefähr 250.000 (immer noch nur 0,2 Prozent der brasilianischen Bevölkerung).
Allein zwischen 1990 und 1994 schuf die brasilianische Regierung nach Angaben der offiziellen Indianerbehörde Funai 131 Reservate. Dies finden mitnichten alle Brasilianer positiv. Während Indianer in Europa und den USA als geborene Waldschützer betrachtet werden, gelten sie in der brasilianischen Öffentlichkeit weiterhin als primitive Nomaden, die mit ihren riesigen Reservaten – zusammengenommen etwas über ein Zehntel der brasilianischen Landesfläche – den Kleinbauern das bebaubare Ackerland rauben.
Inzwischen kommt noch ein anderes Imageproblem für die Indianer hinzu. Zum Verdruß der Umweltschutzorganisationen bringen einige Indianervölker durch illegalen Holzhandel und Goldgeschäfte ihr positives Bild im Ausland selbst in Verruf. So zum Beispiel Mitglieder des Caiapo-Volkes. „Die ehemaligen Beschützer des tropischen Regenwaldes haben einen neuen, weniger schmeichelhaften Namen bekommen: Caiapo Inc.“, höhnt der Herausgeber der angesehenen brasilianischen Wirtschaftszeitung Gazeta Mercantil, Herbert Levy.
Verbotene Verträge mit Holzfirmen hätten einige Anführer des Caiapo-Volkes zu Millionären gemacht, während der Rest der 4.000 Caiapos „den Kindern die Flöhe aus den Haaren zieht“. Weiter donnert der Verleger: „Die Verantwortlichen für die Schaffung des 120.000 Quadratkilometer großen Reservats müßten wegen Veruntreuung öffentlichen Eigentums verklagt werden.“
José Padua von Greenpeace differenziert: „Nur die Caiapo aus der Siedlung Kikretun verkaufen Holz.“ Woanders hätten sich Caiapo nie an den Geschäften beteiligt und wieder andere Teile des Volkes hätten ihren Vertrag mit den Holzhändlern bereits wieder gekündigt. Auch die Amazonasindianer Tikuna und die Surui aus Rondônia sitzen auf der Anklagebank, weil sie ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf von Gold beziehungsweise Mahagoni aus ihrem Reservat aufbessern.
Nach brasilianischem Recht dürfen die Indianer dabei durchaus ihre Reservate wirtschaftlich nutzen. „Theoretisch“, so Greenpeacer Padua, „können die Indianer eine eigene Holzfirma aufmachen, statt illegale Verträge mit Außenstehenden abzuschließen.“ Aber: „Wenn die Indianer ihr Reservat zerstören, müssen wir das kritisieren, genau wie wir die Invasion der Mahagonihändler in die Indianerreservate anprangern.“
Marcio Santilo von der Indianerorganisation NDI (Nucleo de Direitos Indigenas) ist der Meinung, daß trotz der erheblichen Probleme mit einigen Indianerhäuptlingen die indianische Wirtschaftsweise immer noch wesentlich weniger umweltschädlich sei als die der Weißen: „Innerhalb des Caiapo-Reservats gibt es zum Beispiel noch Wald, drum herum sind es nur noch Weideflächen.“
Greenpeacer Padua lenkt das Augenmerk auf die in der brasilianischen Verfassung aus dem Jahre 1988 festgeschriebenen Rechte für Indianer: „Selbst wenn alle Indianer morgen zum Kapitalismus überlaufen, ist der Wald durch die Grenzziehung um die Reservate gerettet.“ Denn die Reservate seien schließlich gleichzeitig auch Naturschutzgebiete.
Doch nach eifrigen Anstrengungen vor der UNO-Umweltkonferenz im Juni 1992 ist die Indianerpolitik der brasilianischen Regierung wieder erlahmt. Brasiliens Ex-Präsident Fernando Collor de Mello ließ während seiner Amtszeit von 1990 bis 1993 insgesamt 112 neue Indianerreservate anlegen; sein Nachfolger Itamar Franco beschränkte sich auf 19 Gebiete. Brasiliens neues Staatsoberhaupt, Fernando Henrique Cardoso, gelobt, acht Gebiete für die Indianer zu reservieren.
Doch sein Justizminister Nelson Jobim will sich das Recht vorbehalten, sämtliche Ländereien erst mal einer Prüfung zu unterziehen. „Es fehlt nicht an Geld, sondern an politischem Willen“, definiert Funai- Vorsitzender Dinarte Nobre Madeiro die aktuelle Indianerpolitik.
Angesichts der drastischen Budgetkürzungen in der Indianerbehörde Funai übernahmen regierungsunabhängige Organisationen (NGOs) mit Hilfe von internationalen Spenden bereits die Kosten für 100.000 Quadratkilometer Reservatfläche. Dennoch müssen die Arbeiten zur Abgrenzung der Reservate aufgrund politischer Schwierigkeiten oft wieder eingestellt werden.
Jüngstes Beispiel sind die Auseinandersetzungen in der Kleinstadt Montes Altos im nordöstlichen Bundesstaat Maranhão, wo sich Großgrundbesitzer und Landarbeiter gemeinsam gegen die Krikatis-Indianer zusammenschlossen. „Wir haben schon die Hilfe der Streitkräfte beantragt,“ erklärt der italienische Priester Carlos Ubbiali, der vor Ort die Indianer unterstützt. Ohne Waffengewalt sei das Projekt nicht durchzusetzen.
Die Sprecherin des Indianer- Missionsrats „Cimi“, Ieda Maria, kann das Argument, Indianer würden den Landlosen ihre letzte Hoffnung auf ein Stück Grund und Boden nehmen, nicht mehr hören. „Nicht die Reservate, sondern extreme Konzentration von Großgrundbesitz ist in Brasilien für die Heerschaar der Landlosen verantwortlich“, lautet ihre Antwort auf die Vorwürfe. Nach Erhebungen des Missionsrates umfassen die Reservate insgesamt 909.000 Quadratkilometer, elf Prozent der Fläche Brasiliens, während die landwirtschaftlich nutzbaren, aber brachliegenden Flächen das Doppelte ausmachen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen