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Hauptsache billig und multikulti

In einer Zeltstadt in Tegel kommen junge Touristen „ohne Eltern und dicke Vorgaben“ für neun Mark pro Nacht unter / Das Camp in der Marktlücke: Billige Unterkünfte gibt es viel zuwenig  ■ Von Silke Fokken

Es riecht nach Lagerfeuer: Langhaarige Jungs um die Zwanzig spielen Gitarre, die Runde im Schneidersitz summt leise mit, ein Mädchen im Blumen-T-Shirt schreibt Tagebuch. Zwischen Butter, Brot und Käse und unzähligen Schlafsäcken philosophieren drei andere in Turnschuhen und Ökosandalen über die Gesellschaft, ihr Fernweh, den Weltfrieden. Im „Internationalen Jugendcamp“ in Tegel verbringen die angeblichen Konsumkinder der Techno-Generation so ihre Ferien.

Das Zeltlager bietet in Berlin die billigste Unterkunft für die Zunft der Rucksacktouristen ohne Knete. 9 Mark kostet die Übernachtung in einem der acht großen weißen Zelte inklusive Isomatte und Decken. „Ansonsten ist die Hauptstadt ziemlich teuer“, sagt Peter Klingemann, kommissarischer Leiter des Gästevereins von der Berliner Touristen-Information. Die Übernachtung in den drei Jugendherbergen in Wannsee, Tiergarten und Tegel koste um die 30 Mark. In den 18 Jugendgästehäusern müßten die Gäste schon 36 Mark und mehr auf den Tisch legen.

Allein in dieser Nacht rücken 180 Rucksacktouristen zum Einchecken in Tegel an. Zwei tropfnasse Gestalten stecken ihren Kopf durch das Fenster am Willkommen-Schalter, froh, endlich ein Dach über dem Kopf zu finden. „Die Jugendherbergen waren alle voll, sind aber auch zu teuer“, sagt die Literaturstudentin Lene aus Dänemark, während ihr Regen- und Schweißtropfen über das Gesicht rinnen. „Wie teuer ist das Duschen?“ Duschen ist glücklicherweise umsonst, Tee und Kaffee in rauhen Mengen auch. Lene atmet erleichtert auf. – „Wir wollten eine günstige Übernachtungsmöglichkeit für Jugendliche mit einer kleinen Reisekasse anbieten“, erzählt Heinrich Kägeler, Geschäftsführer des Jugendclubs, von der Idee des Internationalen Jugendcamps. Der Verein habe sich außerdem auf die Fahne geschrieben, Plätze der Begegnung zu schaffen. „Wir wollen den Kids Plätze anbieten, wo sie sich treffen können und Jugendliche aus aller Welt kennenlernen, und zwar ohne Erwachsene und ohne dicke Vorgaben.“

Der neunzehnjährige Daniel hat gerade die Penne hinter sich gebracht und genießt das Multikulti-Angebot des Tegeler Camps in vollen Zügen. „Ich bin restlos begeistert. Man lernt unheimlich viele Menschen kennen. Gestern sind wir mit fünfzehn Leuten in Richtung Kreuzberg losgezogen, und wir hatten acht verschiedene Nationalitäten unter uns“, schwärmt er. Alle hätten sich zufällig im Camp getroffen. Die Verständigung unter den verschiedenen Sprachen und Kulturen sei auch kein Problem: „Mit Händen und Füßen und Englisch klappt es bestens.“

Das Internationale Jugendcamp in Tegel gibt es laut Heinrich Kägeler seit sechs Jahren. Die Einrichtung sei ursprünglich als Jugendschutzmaßnahme gedacht gewesen. Mittlerweile gibt es mit Stuttgart, München und Berlin drei Camps in Deutschland. Ausschlaggebend für die Gründung des Tegeler Camps war der Massenansturm von Jugendlichen beim Pink-Floyd-Konzert 1989.

„Unsere Serviceleistungen bieten wir zum Selbstkostenpreis an und kommen so etwa auf plus/minus null, meistens eher minus“, sagt Kägeler. Vom Berliner Senat erhalte das Unternehmen eine jährliche Finanzspritze in Höhe von 40.000 Mark.

Wolfgang aus Österreich freut sich über die preiswerte Unterkunft in Tegel. „Hauptsache billig, von 'ner weichen Matratze gibt's bloß Rückenschmerzen“, tröstet er sich. Von Mitte Juni bis Ende August hat das Camp geöffnet. Heinrich Kägeler rechnet in diesem Jahr mit bis zu 9.000 Gästen. Absoluter Rekord seien bislang 12.000 CamperInnen pro Saison gewesen. „Unsere Kapazitäten reichen offiziell für 220 Leute. Wir schicken aber niemanden wieder weg. Bei Christo waren fast 270 da“, betont Kägeler die gute Auslastung der billigen Herberge.

Die Übernachtungszahlen für Berlin liegen nach Angaben des Statistischen Landesamtes insgesamt bei etwa 3 Millionen. „Es gibt allerdings zuwenig billige Unterkünfte“, sagt Peter Klingemann von der Berliner Touristen-Information. Zwar würden fleißig Hotels mit höheren Preisklassen gebaut, preiswerte Herbergen kämen aber kaum dazu. Einziger Lichtblick sei die neue „Fabriketage“, ein Sleep-in in der Schlesischen Straße, das vor etwa einem Monat eröffnet hat und mit 28 Mark pro Nacht auch für Leute mit wenig Kohle erschwinglich sei.

Ansonsten werde sich wenig an der Hauptstadt-Situation ändern. Der Jugendherbergsverband befinde sich in finanziellen Nöten. „Gerade die Jugendlichen wollen aber die billigen Sachen haben. Denen fehlt schlicht das Geld. Seit der Maueröffnung flüchten viele ins Umland, wenn hier nichts Billiges mehr zu bekommen ist“, sagt Klingemann. Etwa 70 Prozent der Nachfrage an den Touristeninformationen richte sich auf Billigunterkünfte.

„Das einzig Dumme an dem Camp ist das frühe Aufstehen, der Preis für die Schonung des Portemonnaies“, seufzt die Betreuerin Katja in tiefem Mitgefühl für die Reisenden, die häufig spät und ziemlich groggy nachts in Tegel eintrudeln. Morgens um 9 Uhr müssen alle gehen, weil es dann ans Saubermachen geht. Mangels Geld erledige das nur eine Person, und die brauche Zeit. Mit einer Kuhglocke oder anderen Späßen würden die CamperInnen geweckt. „Die Deutschen haben bei den Ausländern ja sowieso so ein muffeliges Image. Deshalb ist mir das auch immer etwas unangenehm, aber wir versuchen ein besonders freundlicher Weckdienst zu sein“, sagt Katja.

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